Samerberg – Diesmal war nur die Reise erschöpfend, nicht das Rennen. Radprofi Marcus Burghardt vom Raublinger Rennstall Bora-hansgrohe musste unverrichteter Dinge von den Bretagne Classics in die Heimat zurückkehren. Nach einem positiven Corona-Test bei einem Fahrer wurde das Team aus dem Bewerb genommen, allerdings war der Test wohl falsch. Im exklusiven Gespräch mit der OVB-Sportredaktion erzählt der am Samerberg lebende Burghardt von seinen Erlebnissen in der Bretagne und seine Erwartungen für die Tour de France.
Wie war das mit dem falsch-positiven Corona-Test?
Wir haben das kurz vor dem Start erfahren. Der Tag war bis dahin noch völlig normal verlaufen, wir haben unsere Besprechung gemacht, uns angezogen, die Funkgeräte rangemacht und den Helm aufgesetzt. Dann sind wir zum Start gefahren, wo uns ein UCI-Kommissär gestoppt hat. Unser Fahrer hat übrigens danach zwei negative Tests abgeliefert.
Außer Spesen nix gewesen quasi!
Ja. Es ist wahnsinnig schade, was wir da an Punkten vergeben. Und der ganze Aufwand! Ich war zehn Stunden zum Rennort unterwegs, bin dann am Abend 40 Kilometer als Training gefahren und bin dann wieder zehn Stunden zurück – für 40 Kilometer! Und wenn man die ganzen Kosten fürs Team sieht, die Flüge und das Personal, das die ganzen 1500 Kilometer mit Lkw, Bus und Autos gefahren ist!
Die Tests werden jetzt auch bei der Tour de France gemacht. Mit Ihren Erfahrungen: Wie sicher sind die?
Man sieht ja, dass es nicht zu einhundert Prozent sicher ist. Und das war ja auch nicht das erste Mal, wo es ein falsch-positiver Test war. Ich habe das jetzt schon das dritte Mal mitbekommen.
Wie sehen die nächsten Tage und Wochen bei Ihnen aus?
Ich werde wahrscheinlich nach Italien fahren und dort trainieren. Dort fahre ich eh ab nächsten Dienstag das nächste Rennen und habe dann nur eine kurze Anreise. Danach mache ich eventuell noch ein Höhentrainingslager in Livigno, ehe in Belgien die Frühjahrsklassiker diesmal im Herbst ausgetragen werden.
Und wie verfolgen Sie die Tour?
Ich werde mir jetzt sicher nicht jede Etappe anschauen. Das geht schon deshalb nicht, weil ich ja selbst Rennen fahre. Und ich habe auch sonst nicht die Zeit, den ganzen Tag vor dem Fernseher zu sitzen. Aber die spannenden Etappen und das Finale schaue ich mir bestimmt an.
Schmerzt es noch, nach so vielen Tour-Jahren diesmal in der Zuschauerrolle zu sein?
Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden. Ich denke, dass die stärkste Mannschaft fährt.
Nach den Stürzen und Verletzungen von Buchmann & Co.: Muss das Team nun die Ziele verändern?
Das glaube ich nicht. Ich denke, dass das Podium und ein Etappensieg immer noch das Ziel der Mannschaft sein werden.
Buchmann hatte ja schwere Hämatome, Schachmann einen Schlüsselbeinbruch. Kann man so eine Tour damit durchstehen?
Wenn der medizinische Stab da Zweifel gehabt hätte, dann wären die Fahrer nicht aufgestellt worden. Ich gehe mal davon aus, dass das auch funktioniert.
Wie sehr sind die Verletzungen bei einem Fahrer im Hinterkopf verankert?
Das kommt auf die Mentalität des Rennfahrers an, wie stark er das ausblenden kann. Wenn das einer gut kann, dann ist das kein Hindernis.
Wer ist denn bei Ihnen auf der Favoritenliste ganz oben?
Für mich ist Egan Bernal der Favorit.
Was hat er, was andere nicht haben?
Er hat letztes Jahr schon gewonnen, ist noch ein sehr junger Fahrer und verfügt über wahnsinnig gute Kletterqualitäten. Deshalb ist das für mich der Favorit.
Kann er auch Seriensieger werden?
Ich denke schon, ja. Er muss halt gesund bleiben.
Gibt es für Sie denn einen Kandidaten, der überraschen könnte?
Diejenigen, die wohl vorne in die Top Ten der Gesamtwertung reinfahren, sind keine Überraschungskandidaten. Wenn, dann könnte es durch eine Rennsituation passieren, dass eine Gruppe viel Vorsprung bekommt oder einer vorne wegfährt – in der Art wie Alaphilippe letztes Jahr, der ja so lange vorne dabei war, obwohl er kein echter Klassementfahrer ist. Ich glaube aber nicht, dass es große Überraschungen geben wird.
Es gibt insgesamt zwölf deutsche Fahrer. Auf wen muss man neben Emanuel Buchmann achten?
Mit Sicherheit auf Lennard Kämna von uns. Er hat eine Dauphinè-Etappe gewonnen und wäre vielleicht ein Fahrer, der überraschen könnte. Ihm würde ich eine Top-20-Platzierung zutrauen, und das wäre für sein Alter sicherlich eine Überraschung.
Jeder sagt, dass die Rennen bislang nervös, hart und aggressiv geführt wurden. Erwarten Sie das auch bei der Tour?
Ich kann mir vorstellen, dass es sogar noch schlimmer wird, weil der Druck bei der Tour doch immer am allerhöchsten ist. Und jetzt kommt noch hinzu, dass du keine hundertprozentige Sicherheit hast, ob es wirklich bis nach Paris geht. Es kann ja sein, dass das Gesundheitsministerium nach zehn oder zwölf Tagen Hinweise gibt und das Rennen dann abgebrochen werden muss. Das kann dazu führen, dass das Rennen noch nervöser wird.