Bayern hat den „Kaiser“, der „König“ liegt in Prien

von Redaktion

„Mit dem Ball konnte er wie ein Zauberer umgehen, er balancierte ihn so, wie einst der berühmte Jongleur Rastelli die kleinen Bälle mit den Händen“ – so beschrieb das Sport-Lexikon „Fußball“ die Künste von Alfred Schaffer. Der Todestag des Ungarn jährt sich nun zum 75. Mal. Seine letzte Ruhe hat er in Prien gefunden.

Prien am Chiemsee – Schaffer wurde am 13. Februar 1893 in Pressburg geboren, dem heutigen Bratislava. Damals gehörte die Stadt noch zu Österreich-Ungarn. Als junger Bub zog er mit seiner Familie nach Budapest und begann dort mit dem Fußballspielen. Er wurde ungarischer Meister und Torschützenkönig – und zog dann in die Welt hinaus. Immer dem Ruf des Geldes folgend: 1. FC Nürnberg, FC Basel, Wacker München, Sparta Prag, MTK Budapest und der Wiener Amateur-Sportverein, der Vorgänger der Austria, waren seine Vereine als Spieler, als Trainer kamen der 1. FC Nürnberg, DSV München, Wacker München, Austria Wien, der Berliner SV 1892, Eintracht Frankfurt, MTK Budapest, das ungarische Nationalteam, Rapid Bukarest, die AS Rom, Ferencvaros Budapest und der FC Bayern München hinzu. „Das war ein reiner Wandervogel“, berichtet Eugen Unterstraßer, ehemaliger Abteilungsleiter des TuS Prien. Was sein Verein mit Alfred Schaffer zu tun hat? Eigentlich nix – und doch wieder alles. Obwohl der erste Profifußballer in Europa nie für den TuS Prien gespielt hat, hat sich der Verein die Pflege von Schaffers Grabstätte auf die Fahnen geschrieben.

Ein Mann mit vielen

Fragezeichen

Der einstige Mittelstürmer liegt im Friedhof in der Marktgemeinde begraben, weil er dort im August 1945 leblos im Zug nach München aufgefunden wurde. Unterstraßer erzählt hingegen, „dass er nach zwei, drei Tagen“ im Krankenhaus verstorben sei. Eine der vielen Fragezeichen im Leben des Schlawiners. Auf dem Grabstein und in vielen Statistiken ist der 30. August 1945 als Todestag verzeichnet, im Priener Sterberegister der 31. August. Als Todesursache wird da von einer Herz-Wasser-Sucht geschrieben, „vermutlich war es ein Herzinfarkt“, so Unterstraßer, der auch nicht unbedingt glauben möchte, dass Schaffer im Zug von Salzburg kommend gesessen sei. Neben seinem Trainerjob beim FC Bayern führte er in München das Weinhaus „Kette“. Als zum Ende des Zweiten Weltkriegs ganze Straßenzüge Münchens vom Bombenhagel zerstört wurden, suchte Schaffer im Chiemgau Zuflucht. „Als letzter Wohnort ist Unterwössen 115 eingetragen. Theoretisch könnte er auch die damalige Bahnlinie von Marquartstein nach Übersee genommen haben, um dann nach München weiterzufahren“, berichtet Unterstraßer, der über die Jahre zum Schaffer-Experten mutierte. „Ich habe mir viele Bücher aus Auflösungen und Antiquariaten besorgt.“ Mittlerweile besitzt er sogar Videos mit Bewegtbildern von Schaffers fußballerischen Auftritten aus den Jahren 1919 und 1925.

Auch der ehemalige TuS-Fußballchef ist von der Geschichte des ungarischen Edel-Kickers begeistert: „Das war der erste große Star im deutschen Fußball.“ Die Sportberichterstatter überschlugen sich ob des fußballerischen Könnens, schwärmten vom „wandelnden Gestirn am europäischen Fußballhimmel“, der „Fußball-Extraklasse in Potenz“ und vom „attraktivsten europäischen Fußballer seiner Zeit“.

Dem angenehmen
Leben nicht abgeneigt

Schaffer glänzte aber nicht nur auf dem Platz. Dank seiner imposanten Erscheinung, seines guten Aussehens und seines ungarischen Charmes war er ein Frauenschwarm und dem angenehmen Leben nicht abgeneigt. Oftmals sah man ihn in einer speckigen Lederhose im Wirtshaus vor einer Riesenportion Presssack und einer Mass Bier, abends unterhielt er in bekannten Weinlokalen die ganze Gesellschaft. Der Fußballautor Richard Kirn beschrieb Schaffer wie folgt: „Ein Ungar zwar, doch nicht, wie man sich Ungarn gemeinhin vorstellt: blondlockig, breit, behäbig. Wenn er die bayerische Tracht trägt, die kurze Wichs, dann sieht er aus wie ein Sennbub aus einem Ganghofer-Roman. Er bewegt sich auf dem Feld fast langsam, aber geht mit dem Ball um, dass das ganze Spiel um ihn herum zu tanzen beginnt.“

Aber wie konnte ein langsamer Spieler mit 95 Kilogramm Lebendgewicht, der – so die Wiener Presse – „ein behäbiger Herr, der keinen Schritt zu viel machte“ war, das Spiel so dominieren? Die Antwort lieferte ebenfalls die Journaille: „Tempo spielt sich bei ihm woanders ab – im Hirn. Keiner dachte so schnell wie er!“ Und: „Er war ein glänzender Vorbereiter und ein noch besserer Vollstrecker, gelassen und parallel handlungsschnell. Seine stramme Figur tat seiner traumhaften Ballbehandlung keinen Abbruch. Flanken, Pässe, Gustostückerl – alles, was er tat, war ,spezial‘“. So kam Schaffer auch zu seinem Spitznamen: „Spezi“.

Weil er das Spiel mit der Kugel so elegant beherrschte, war der Ungar auch vorlaut. Nicht überall machte er sich Freunde, in Nürnberg, seiner ersten Station im Ausland wurde er zunächst despektierlich als „Mausfallen-Händler“ bezeichnet. Vor allem, weil er schnell weiterzog, wenn ihm woanders eine höhere Prämie geboten wurde. Und, weil er seine Zoten und derben Späße auch auf dem Platz vollführte. Weshalb es auch zahlreiche Geschichten über den von den Gazetten getauften „Fußballkönig“ gibt.

So berichtete Nürnbergs Torwart-Legende Heiner Stuhlfauth von einer Partie gegen den Erzrivalen SpVgg Fürth: „Der ,Spezi‘ hat einen Kanonenschuss gehabt. Gegen Fürth schoss er so scharf und schnell, dass der Schiedsrichter das Tor nicht gesehen hat. Der einzige Beweis war der Abdruck des feuchten Balles auf dem Hinterpfosten.“

Solche Geschichten geisterten in der Fußballszene herum, und die Torhüter hatten Angst vor Schaffers Wucht. Gegen den MTV Fürth setzte er den Ball nach einem Alleingang aber übers Tor. Beim Fürther Tormann Polansky wandelte sich die Furcht in einen Ausbruch von Erleichterung, voller Freude schlug er einen Purzelbaum und drehte Schaffer eine lange Nase. Der schnappte sich wenig später erneut den Ball, marschierte wieder durch die Fürther Abwehr, umspielte Polansky und spazierte dann mit dem Spielgerät ins Tor. Beim Zurücklaufen klopfte er dem Torwart auf die Schulter und erklärte: „Sind wir wieder quitt.“

Einmal pfiff ihm der Schiedsrichter zweimal einen Elfmeter ab. Bevor er sich den Ball ein drittes Mal auf den Punkt legte, sagte er zum Unparteiischen: „Herr Schiedsrichter: Sie können pfeifen, was sie wollen. Sie sagen, in welche Ecke, und ich schieße, bitteschön!“

Schaffer wusste um seine Qualitäten und ließ sich dafür auch bezahlen: „Bin ich König von Fußball, muss ich bitteschön auch bezahlt werden wie Fürst!“ Mitunter hieß es auch: „Der Schaffer spielt für jede Währung.“ In Ungarn wurde er viermal Meister mit MTK Budapest, zweimal wurde er Torschützenkönig. Titel holte er auch in Deutschland, Österreich und in Tschechien. Beim FC Basel war er prozentual an den Einnahmen des Vereins beteiligt. Wegen Schaffers Künste strömten die Zuschauer in Scharen. Da kam der Vereinsvorstand auf den Ungarn zu und meinte: „Unsere Vereinbarung können wir nicht mehr halten. Sie verdienen sonst mehr als unser Bundespräsident.“ Schaffers Antwort: „Einen neuen Bundespräsidenten können‘s alle Tag wählen, aber den neuen Fußballkönig kriegen‘s so schnell nimmer!“

Wettkönig an der
Ehrentribüne

In Wien besserte er seine Kasse oftmals während der Spiele noch auf. Kurz vor Schluss rannte er zur Ehrentribüne und bot den dort sitzenden vermögenden Beobachtern an: „Ich wette, dass ich jetzt das Siegtor schießen werde. Wer setzt dagegen?“ Zumeist gewann Schaffer. Es ist aber wohl nur ein Gerücht, dass der Wiener Amateur-Sportverein sich in Austria umbenennen musste, weil er wegen der Bezahlung des Ungarn nun kein Amateurclub mehr war…

Der „Fußballkönig“ hatte Wien und seine Kaffeehaus-Mentalität lieb gewonnen. Und so antwortete er auch prompt, als er vom Vorstand der Austria per Telegramm ein Angebot als Trainer erhalten hatte: „Komme mit 1000 Freuden. Monatsgage 2000 Schilling.“ Die Antwort aus Wien war schlagfertig: „Kommen Sie mit 2000 Freuden. Monatsgage 1000 Schilling.“ Aber Schaffer kam – und war oftmals im Klubhaus per Kartenspiel zu finden, als die unangenehme Trainingsarbeit anstand. Seine Anweisung an die Spieler: „Lauft‘s a Rundn!“ Erst, als das Kartenspiel fertiggespielt war, kam er auf den Trainingsplatz.

Und dennoch hatte er auch als Trainer Erfolg. Mit MTK Budapest wurde er zweimal Meister in Ungarn, mit Ferencvaros Budapest zweimal Pokalsieger. Mit Rapid Bukarest holte er zweimal den Pokal in Rumänien, mit der AS Rom wurde er 1942 italienischer Meister – der erste von nur drei Titeln des Hauptstadtclubs. In Nürnberg entdeckte und förderte er den späteren Nationalteam-Kapitän Hans Kalb, in Wien Matthias Sindelar, ein Mythos in der österreichischen Fußballgeschichte. Und Schaffer stand im Trainerteam, als Ungarn bei der Weltmeisterschaft 1938 ins Finale kam und dort dem Titelverteidiger Italien mit 2:4 unterlag. Allerdings wurde da schon der Grundstein für die erfolgreichste ungarische Fußball-Ära gelegt, die erst 1954 mit einer weiteren WM-Finalteilnahme endete.

Seinen letzten Titel landete Schaffer als Trainer des FC Bayern, den er von 1944 bis zu seinem Tod betreute. Mit den Münchnern wurde er bayerischer Meister. Ein anderer Traditionsverein aus der Landeshauptstadt kümmerte sich viele Jahre um das Grab des Ungarn. Ende der 70er-Jahre wollte der FC Wacker, bei dem er gespielt hatte und später als Trainer tätig war, die Grabpflege auslaufen lassen. „Das hat der Franz Pfliegl, der Geschäftsführer in der Gemeinde war, mitbekommen. Seitdem kümmert sich die Ur-AH des TuS Prien darum“, weiß Unterstraßer. Auch deshalb hing im Vereinsheim am alten Sportplatz auch ein gerahmtes Porträtfoto von „Spezi“ Schaffer an der Wand.

TuS Prien führt das
Andenken fort

Der TuS Prien führt das Andenken des ersten Fußballprofis in Europa fort: Das Hallenturnier um den Chiemsee-Cup war auch das Spezi-Schaffer-Gedächtnisturnier, dazu gab es immer wieder Auszüge über Schaffers Wirken in der Stadionzeitung. „Die jetzigen Spieler wissen schon, wer das war“, sagt Priens Abteilungsleiterin Andrea Fischer. Erst kürzlich habe man sich dafür entschlossen, die Pflege von Schaffers Grabstätte in den nächsten Jahren fortzuführen, so Fischer.

Jahrelang kümmerte sich das Priener Ehepaar Anneliese und Rudi Moehrke um die letzte Ruhestätte des Ungarn im Priener Friedhof. Mittlerweile pflegen Marion Hinterseer und Eugen Unterstraßer das Grab, Priens Jugendleiter Andreas Scholz war bei der Restaurierung mit einer neuen Grabumfassung behilflich. Vor einigen Wochen waren Journalisten der Nemzeti Sport, einer täglich erscheinenden Sportzeitung Ungarns, in Prien für Interviews im Rahmen einer Schaffer-Dokumentation. Zum 75. Todestag wird auch der FC Bayern ein Blumengebinde samt Schärpe niederlegen, wie Unterstraßer erfahren hat. Ein schwerer Marmorfußball, eingebettet zwischen Steinen in den ungarischen Nationalfarben, schmückt das Grab. Es ist schön geworden. Eines Fußballkönigs würdig.

Quellen: www.glubberer.at, www.abseits.at, www.graeber-fussballgoetter.de, www.austria-archiv.at, Helmut Heimann: Tarkan, Puskas, Hansi Müller.

Alfred „Spezi“ Schaffer: Top-Star und Wandervogel

Geboren am 13. Februar 1893 in Pressburg, wanderte Schaffers Familie kurze Zeit später nach Budapest aus, wo er erstmals im Verein Fußball spielte. Dort hatte er schon als Jugendlicher viele Vereine, ehe er bei MTK Budapest für mehrere Jahre sesshaft wurde. In dieser Zeit bestritt er auch 15 Länderspiele für Ungarns Nationalteam, in denen er 17 Tore erzielte.

Nach einer Europa-Tournee mit MTK Budapest verließ er 1919 den Verein und heuerte beim 1. FC Nürnberg an. Seine weiteren Stationen als Spieler: FC Basel (1920), FC Wacker München (1920 bis 1922), Sparta Prag (1922), MTK Budapest (1923), Wiener Amateur-Sportverein (1923 bis 1925) und Sparta Prag (1925/26).

Bereits bei seiner ersten Station in Nürnberg ließ er sich als Spielertrainer anstellen. Auch später fungierte Schaffer noch als Spielertrainer, ehe er komplett ins Trainerfach wechselte. Seine Stationen: 1. FC Nürnberg (1919/20), DSV München (1926/27), FC Wacker München (1927/28), FK Austria Wien (1928/29), Berliner SV 1892 (1929/30), FC Wacker München (1930 bis 1932), Eintracht Frankfurt (1932), 1. FC Nürnberg (1933 bis 1935), MTK Budapest (1935 bis 1937), Nationalteam Ungarn (1938), Rapid Bukarest (1939/40), AS Rom (1940 bis 1942), Ferencvaros Budapest (1942 bis 1944), FC Bayern München (1944/45).

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