Wie der Fußball wieder ins Rollen kam

von Redaktion

Mehr als sechs Monate hat die Corona-Pandemie den heimischen Fußball lahmgelegt. Mehr als 75 Jahre ist es her, dass zuletzt so lange Zeit kein Ball auf Bayerns Fußballplätzen rollte. Zwei Statistiker haben in jahrelangen Recherchen herausgefunden, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg wieder losging mit dem Amateurfußball.

Rosenheim/Mühldorf – Im Sommer 1945 liegt der Sport in Bayern brach. Vereine sind verboten, weil die amerikanischen Besatzer allem und allen Deutschen erst mal misstrauen. Turnhallen und Sportheime – soweit sie nicht nur noch Ruinen sind – werden als Unterkünfte für Obdachlose und Vertriebene gebraucht. Auf Fußballplätzen parken Panzer, auf anderen türmen sich Schuttberge. Es braucht Beharrlichkeit und Mut, um Deutschlands Lieblingssport unter diesen Umständen neues Leben einzuhauchen.

Tatsächlich rollt der Ball schon am 4. November 1945 wieder, ein halbes Jahr nach dem Einmarsch der Amerikaner in Bayern. Oberliga Süd heißt die höchste Spielklasse für die Besatzungszone aus Bayern, Württemberg-Baden und Hessen. Der Rekordmeister 1. FC Nürnberg schlägt den FC Bayern München mit 2:1, mit demselben Ergebnis behält der TSV 1860 München die Oberhand gegen den BC Augsburg. Am gleichen Tag bestreitet der TSV Rosenheim – wie Münchner Zeitungen den Verein nennen – sein erstes Spiel um die „Münchner Meisterschaft“, an der zwölf Vereine (davon zehn aus der Landeshauptstadt) teilnehmen. Er gewinnt 3:0 beim Freien Sportverein München-West 1880. Doch die Runde wird nach nur vier Spieltagen – und vier Rosenheimer Siegen – abgebrochen.

Zwei Organisationen
buhlen um Fußballer

Noch buhlen zwei Organisationen um die Fußballer: der „Süddeutsche Fußball-Verband“ (SFV), der – zunächst mit Unterstützung der Amerikaner – die Oberliga organisiert und als Unterbau auch eine bayerische Landesliga geschaffen hat. Er träumt von der Zeit vor 1933, in der er innerhalb des DFB für den Fußball in ganz Süddeutschland zuständig war. Der neue Bayerische Landes-Sportverband (BLSV) wiederum, von dessen „Sparte Fußball“ der Anstoß zur „Münchner Meisterschaft“ kommt, will alle Fußballspieler im Freistaat vereinen, egal ob sie vor dem Krieg im Deutschen Fußball-Bund (DFB), im Arbeitersport oder in der katholischen DJK (Deutsche Jugendkraft) gespielt haben. Erst 1948 entsteht aus der BLSV-Sparte der Bayerische Fußball-Verband (BFV).

Spielbetrieb startet
im Februar 1946

Während die erste Oberliga-Saison schon auf die Halbzeit zusteuert, geht es in Oberbayern am 3. Februar 1946 erst wieder richtig los. „I. Liga Oberbayern“ heißt die höchste Spielklasse jetzt offiziell, und unter den elf Vereinen ist auch der ASV Rosenheim. Er hat sich, noch im alten Jahr, mit einem 2:0 beim FC Viktoria München qualifiziert. ASV? Die Besatzer hatten bald verfügt, dass es in jeder Stadt nur einen Sportverein je 25000 Einwohner geben dürfe. Also schließen sich der TSV 1860, die Reichsbahn-SG, der EV, der MTV und die Freie Turnerschaft im Februar 1946 zähneknirschend zum „Allgemeinen Sportverein“ (ASV) Rosenheim zusammen.

Darunter, in der II. Liga, wird im Frühjahr 1946 im Bezirk Inn-Chiem in zwei Gruppen gespielt. Von Bad Aibling bis Berchtesgaden erstreckt sich die Gruppe Chiem mit elf Vereinen, neun Vereine von Mühldorf bis Pfarrkirchen bilden die Gruppe Inn. Der Fußball lebt wieder. Doch die Zeitungsleser erfahren davon allenfalls in kurzen Notizen – soweit es die Zeitungen schon wieder gibt. Denn die alten, gleichgeschalteten Blätter sind verboten, die Verleger brauchen eine Lizenz, um zu drucken, das Papier ist rar und streng rationiert. Auf den vier oder sechs Seiten, die dreimal pro Woche erscheinen, gibt es zumeist Wichtigeres, ja Lebenswichtigeres zu berichten als Ergebnisse, Torschützen und Tabellen.

Mühsame Suche nach
der Vergangenheit

Entsprechend mühsam ist die Detektivarbeit, die die Fußball-Statistiker Wolfgang Gohl aus Augsburg und Siegfried Hochmann aus Roßtal bei Nürnberg auf sich genommen haben. Denn viele Vereine haben ihre Vergangenheit längst entsorgt, und selbst der BFV hat erst im 21. Jahrhundert begonnen, Ergebnisse und Tabellen systematisch zu sammeln. Mehr als 15 Jahre lang haben der pensionierte Eisenbahner Gohl und der IT-Fachmann Hochmann akribisch zusammengetragen, ausgewertet und nachgerechnet, was in Zeitungsarchiven, Bibliotheken und privaten Chroniken über den Fußball in Bayern von 1945 bis zur Gründung der Bundesliga 1963 noch verfügbar ist.

Sie sind Mitglieder im Deutschen Sportclub für Fußball-Statistiken (DSFS), der sich seit 50 Jahren um die Erfassung von Daten rund um den Fußball in Deutschland und anderswo kümmert. „Nicht nur Fußball-Statistiker können sich vielleicht vorstellen, welches Glück der überraschende Fund einer Tabelle in einer Vereinschronik sein kann, oder welches Hochgefühl das letzte Ergebnis aus einem Nachholspiel auslöst, das erklärt, warum der eine Meister wurde und der andere absteigen musste“, schreiben Gohl und Hochmann im Vorwort zu ihrem Werk.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Auf 1100 Seiten finden sich in den zwei Bänden von „Fußball in Bayern 1945-1963“ Ergebnisse und Tabellen von der Oberliga bis zu den A-Klassen (der heutigen Kreisliga), spannende Zeitdokumente und schier unglaubliche Anekdoten aus der Zeit, als der Ball wieder ins Rollen kam.

Was der BFV gegen Eisenbahner hatte, welchen „Star“ der 1. FC Traunstein hervorbrachte und wer den Rosenheimer „60ern“ in den 1950er-Jahren den Rang ablief, stellen die OVB-Heimatzeitungen in der Serie „Wie der Fußball wieder ins Rollen kam“ in den nächsten Wochen in loser Folge vor.

„Fußball in Bayern“, Band 1: 1945-55 aus der Reihe „Bayern-Chronik“ ist für 39,80 Euro erhältlich beim Deutschen Sportclub für Fußball-Statistiken e.V., Produktvertrieb, Bocksgründen 67, 27232 Sulingen, oder online über dsfs.de. Band 2 (1955-63) erscheint im November.

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