Pius Paschke „auf Wolke sieben“

von Redaktion

Kiefersfeldener Skispringer ist Mitfavorit bei der Vierschanzentournee

Kiefersfelden/Oberaudorf – Weihnachten wird Pius Paschke ganz gemütlich daheim mit der Familie feiern. Und nach all dem ungewohnten Trubel der letzten Wochen in seiner Heimatregion Kiefersfelden/Oberaudorf versuchen, „so gut wie möglich abzuspannen und den Kopf frei“ zu kriegen. Leicht wird das nicht, denn der eher introvertierte Familienvater hat sich zuletzt häufig wie bei einer vorzeitigen Weihnachtsbescherung gefühlt. Beim Saison-Auftakt im finnischen Ruka holte er als Zweiter zunächst den ersten Weltcup-Podestplatz seiner Karriere, am vergangenen Wochenende dann im schweizerischen Engelberg seinen ersten Weltcup-Sieg – im stolzen Flieger-Alter von 33. Routinier Paschke ist damit der älteste Athlet der Skisprung-Geschichte, dem diese Premieren gelungen sind.

„Pius muss sich wahrscheinlich nach seinen bisherigen Erfolgen in diesem Winter jeden Morgen kneifen. Aber er fliegt einfach auf Wolke sieben und ihm ist einfach alles zuzutrauen“, sagt Flieger-Legende Sven Hannawald. Der Skisprung-Experte bei der ARD ist der Mann, der vor 22 Jahren als letzter Deutscher die Vierschanzentournee gewinnen konnte. Die 72. Auflage des Skisprung-Grand-Slams beginnt am 28. Dezember mit der Qualifikation in Oberstdorf und Pius Paschke gehört als Dritter des Gesamtweltcups neben seinen Teamkollegen Andreas Wellinger und Karl Geiger sowie dem Österreicher Stefan Kraft plötzlich zu den ganz heißen Favoriten.

Eine fast märchenhafte Entwicklung des Fliegers, schließlich konnte man den Mann aus dem Inntal in den vergangenen Jahren bestenfalls zur erweiterten Weltspitze zählen. Seine bis dato einzigen größten Erfolge feierte er mithilfe seiner prominenteren deutschen Kollegen im Team: 2020 Silber bei der Skiflug-WM und 2021 Gold bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf. Deshalb findet es auch Pius Paschke ziemlich unglaublich, was derzeit so abgeht: „Ich hatte schon in den vergangenen Jahren immer mal wieder Phasen, wo ich in den Top Ten gelandet bin und nah dran war an der Weltspitze. Dass es natürlich jetzt so funktioniert, ist einfach Wahnsinn.“

Geiger: „Er hat es sich
mehr als verdient“

Genau zehn Jahre nach seiner Weltcup-Premiere passen bei Pius Paschke jetzt endlich alle Puzzleteile zusammen. Und sein unglaublicher Kampfgeist zahlt sich aus. „Der Sport schreibt die schönsten Geschichten, er hat es sich mehr als verdient“, lobt Teamkollege Karl Geiger, mit dem Paschke in Oberstdorf einst in die Schule und ins Internat gegangen ist: „Der Biss und das Durchhaltevermögen von Pius trotz aller Rückschläge sind bewundernswert.“ Viele Male wurde der Flieger vom WSV Kiefersfelden abgeschrieben. 2017 flog er sogar aus dem B-Kader, doch Paschke begriff das als eine Art letzte Chance: „Das war tatsächlich ein Kick. Ich war mehr auf mich allein gestellt und habe viel mit meinem Trainer Christian Leitner in Berchtesgaden trainiert. Dabei bin ich auf den Geschmack gekommen, mehr mein Ding zu machen und alles so zu gestalten, wie ich das will. Ich habe gedacht: Wenn ich den Karren gegen die Wand fahre, dann war es wenigstens meine Entscheidung.“

Mit dieser Einstellung im Kopf ging es langsam bergauf, doch Paschke fehlte in den vergangenen Jahren oft die Konstanz auf höchstem Niveau. Im vergangenen Winter wurde er nur 34. im Gesamtweltcup, verpasste die WM und wurde in den 1B-Kader zurückgestuft. Doch einmal mehr kämpfte er sich über Topleistungen im Continentalcup zurück, sicherte Deutschland einen zusätzlichen Weltcup-Startplatz und nutzte seine Chance diesmal konsequent. „Pius springt vielleicht so gut wie nie zuvor und das ist kein Zufall“, sagt Bundestrainer Stefan Horngacher: „Pius macht sein Zeug, hat einen klaren Plan von seinem Sprung und ist mental in der richtigen Verfassung. Alles total aufgeräumt.“

Auch der klare Kopf ist eines der neuen Erfolgsgeheimnisse des Team-Oldies, der im Team auch mal despektierlich „Opa“ genannt wird. Seit über zehn Jahren arbeitet Paschke mit dem Sportpsychologen Dr. Thomas Ritthaler zusammen, jetzt fügt sich alles zusammen: „Wir haben uns vor dieser Saison einen Weg überlegt, wo ich noch klarer weiß, was ich im entscheidenden Moment zu tun habe. Ich habe mental einen Schritt nach vorn gemacht“, sagt Paschke. Ein weiteres Puzzleteil für den sensationellen Aufstieg sind auch die neuen Materialregeln, nach denen die als Tragfläche dienenden Skisprung-Anzüge noch enger wurden und das Mindestgewicht um etwa ein Kilo angewachsen ist. Überprüft wird das neu alles per Bodyscan – Tricksen wie in den Vorjahren ist also nicht mehr möglich.

Auch das kommt einem ehrlichen Arbeiter wie Pius Paschke entgegen: „An meinem Setup hat sich gegenüber der vergangenen Saison fast nichts geändert. Ich war nicht am Limit, deshalb war auch die Umstellung nicht so groß. Also konnte ich gut trainieren und mich auf die wichtigen Sachen konzentrieren – da haben sich andere sicher schwerer getan.“ Paschkes Sprungstil und Körperbau passen jetzt offenbar perfekt zu den geltenden Regeln. Und dann ist da natürlich noch die Sache mit den Saltos, die der angenehm zurückhaltende Pius Paschke niemals von sich aus erzählen würde. Deshalb muss das Schwärmen Karl Geiger übernehmen: „Pius hat ein unglaubliches Bewegungstalent, er ist saugut bei komplizierten Bewegungen. Das ist krass.“

Ein Talent für
Doppelsaltos

Beim Wasserschanzenspringen mit Ski im vergangenen Sommer blieb Geiger und Wellinger der Mund offen stehen, als Pius Paschke zum Auftakt erst einen Salto und dann einen noch cooleren Doppelsalto auspackte. „Ich habe schon eine besondere Affinität zu koordinativen Sachen – das ist schon als Kind bei mir gefördert worden. Und mir macht das wahnsinnig viel Spaß“, erzählt Paschke. Und erzählt auf Nachfrage noch eine andere verrückte Story, mit der er den von Gesamtweltcup-Spitzenreiter Kraft verpassten Kosenamen „wilder alter Hase“ alle Ehre macht: „Wir sind mal auf dem Dachstein-Gletscher mit Langlauf-Ski einen Abhang runtergefahren und dann habe ich gesagt, dass ich über die Freestyle-Kicker einen Rückwärtssalto mache. Ich habe mich mit dem Speed ein bisschen verschätzt, bin unsanft gelandet und hatte einen blauen Arsch.“

Aber auch diese Schmerzen haben Pius Paschke auf dem langen Weg zum Erfolg nur stärker gemacht. Deshalb glaubt auch Chefcoach Horngacher nicht, dass sich Pius Paschke in den nächsten Tagen bei der Vierschanzentournee von Zehntausenden Zuschauern an den Schanzen und Millionen an den TV-Schirmen aus der Ruhe bringen lässt: „Ich glaube, er zieht das durch, nicht nur bei der Tournee, sondern die ganze Saison.“

Bleibt nur zu hoffen, dass sie den neuen deutschen Überflieger an den Schanzen nicht als Münchner bezeichnen, denn das bringt den ruhigen Mann wirklich auf die Palme. Er ist zwar in der Landeshauptstadt geboren und kam mit seinen Eltern, die beim WSV Kiefersfelden auch heute immer noch ehrenamtlich tätig sind, erst 1994 in die Region.  Aber schon seit drei Jahrzehnten ist hier die Heimat und Kraftquelle von Pius Paschke: „Ich komme aus Kiefersfelden und wohne in Oberaudorf. Ich bin so tief in der Region verwurzelt, dass es mich stört, dass ich oft als Münchner bezeichnet werde.“

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