„Jammern hilft nichts“

von Redaktion

Andreas Wellinger beendet seine beste Weltcup-Saison

Ruhpolding – Den Ritterschlag für seinen außergewöhnlichen Winter bekommt Andreas Wellinger von einer echten Skisprung-Legende. „Bei Andis Sieg zum Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf haben 25000 Zuschauer die deutsche Nationalhymne mitgesungen. Die Nation steht hinter Andi Wellinger, er hat eine neue Skisprung-Begeisterung ausgelöst“, schwärmt Sven Hannawald, der vor inzwischen 22 Jahren als letzter Deutscher die Vierschanzentournee gewonnen hatte. Zwar sei dem neuen deutschen Überflieger zum Ende des Weltcup-Winters etwas „das Gas ausgegangen“, aber mit ein bisschen Abstand werde Wellinger „sehr stolz auf diese Saison sein“.

Das kann der gebürtige Traunsteiner, der für den SC Ruhpolding startet, auch wirklich sein. Zwar reichte es nach einem dramatischen Duell mit dem Japaner Ryoyu Kobayashi nicht zum langersehnten deutschen Vierschanzentournee-Triumph, doch Platz zwei in der Gesamtwertung war genauso ein spektakulärer Erfolg wie seine beiden Medaillen bei der Skiflug-WM am Kulm. Seine zwei umjubelten Weltcup-Heimsiege in Oberstdorf und Willingen sowie insgesamt elf Einzel-Podestplätze reichten am Ende zu Platz drei im Gesamtweltcup. Natürlich ist auch das eine neue Bestmarke für den deutschen Vorflieger. „Das ist eines der besten Gefühle, die ich jemals hatte“, schwärmt Wellinger bei Instagram und hebt noch einmal seinen Triumph in Oberstdorf als absolutes Saison-Highlight hervor: „25000 Zuschauer, die die Hymne mitsingen – das war sehr bewegend. Für solche Momente zahlt sich das Training aus.“

Der 28-Jährige aus der Region galt in seiner Anfangszeit vor allem als Spezialist für die großen Events – dafür sprechen je zwei Olympiasiege und WM-Titel. In diesem Winter hat Wellinger jedoch eindrucksvoll bewiesen, dass er auch eine lange Saison auf höchstem Niveau Ski springen kann. Der beste Beweis: Als einziger Skispringer des gesamten Feldes schaffte er es bei allen 32 Weltcup-Einzelspringen in den zweiten Durchgang der besten 30. „Da kann man nur den Hut ziehen. Das habe ich in meiner ganzen Karriere versucht und nie geschafft“, lobt ZDF-Experte Severin Freund. Er hatte 2015 als bis dato letzter deutscher Skispringer die große Kristallkugel für den Gesamtweltcup-Sieg geholt.

Aber woher kommt die neue Konstanz von Publikums-Liebling Wellinger? Sie hat viel mit seiner Verletzungs-Historie zu tun, so komisch das auch im ersten Augenblick klingen mag. Nach seinem frühen Aufstieg zum Olympiasieger mit 18 machte er vor allem nach seinem Kreuzbandriss 2019 und weiteren Verletzungen wie einem Schlüsselbeinbruch beim Surfen schwere Zeiten durch. Das Ausnahmetalent musste sich die körperlichen Voraussetzungen fürs Fliegen jahrelang komplett neu erarbeiten – und reifte dabei auch mental. „Ich habe immer wieder mal paar auf den Deckel gekriegt. Aber Jammern hilft nichts – nur Kämpfen um meine große Leidenschaft Skispringen“, sagt er selbst.

Auch Bundestrainer Horngacher sieht in Wellinger einen „enorm gereiften Sportler, der im deutschen Team vorangeht und noch viele Erfolge feiern kann“. Erst mal hat Andreas Wellinger jedoch trainingsfrei. Den Weltenbummler, der schon in Australien oder im vergangenen Jahr auf Mauritius relaxte, zieht es natürlich wieder in die Ferne. „Es wird im April ins Warme gehen, die Sonne genießen, zwei Wochen nach Sri Lanka. Einfach ein Tapetenwechsel nach der zehrenden Saison, die Seele baumeln lassen“, verrät er selbst.

Genügend Kleingeld für die Fernreise hat er mit seinen Erfolgen jedenfalls eingesammelt: Die Preisgeld-Einnahmen in diesem Winter summieren sich allein auf 212050 Schweizer Franken. Dazu kommen satte Werbeeinnahmen von seinem Kopfsponsor Red Bull, deren Tochterfirma Van Deer, die Wellinger auch mit Ski ausrüstet, plus weitere Sponsorenverträge. Den einen oder anderen Cocktail im Urlaub wird sich der auch in der Frauen-Welt sehr beliebte FC Bayern-Fan also leisten können. Vermutlich wird seine Freundin dann an seiner Seite sein, die Wellinger genau wie den Rest seines Privatlebens komplett aus der Öffentlichkeit heraushält.

Der Skispringer will zumindest von seinen Fans nur als Sportler wahrgenommen werden, der auch im kommenden Winter große Ziele hat: „Ende April, Anfang Mai geht es dann wieder richtig los mit dem Training. Ich werde mir neue Ziele setzen, damit es noch ein Stück weiter nach vorne geht.“ Neben der Nordischen Ski-WM im norwegischen Trondheim visiert Wellinger besonders die Vierschanzentournee an. „Irgendwann kann man uns nicht mehr aufhalten. Wir müssen hoffentlich nur noch ein Jahr auf den ersehnten Gesamtsieg warten“, sagte Wellinger schon nach seinem zweiten Platz Anfang Januar.

Sven Hannawald wäre es recht und er glaubt daran, dass, ähnlich wie Tabellenführer Bayer Leverkusen in der Fußball-Bundesliga, auch die deutschen Skispringer den Ruf als „ewige“ Tournee-Zweite ablegen werden: „Ich will meinen Rucksack endlich abgeben und einen Nachfolger bekommen. Die Chancen stehen gut, dass er Wellinger heißen könnte.“

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