Rosenheim – Die Nachricht kam nach Saisonende doch überraschend: Stefan Reiter wird seine Eishockeykarriere beenden und sich beruflich neu orientieren. Dabei ist der Stürmer, der in der abgelaufenen Saison fünftbester Torschütze der Starbulls Rosenheim in der zweithöchsten deutschen Spielklasse (DEL2) war, doch erst 27 Jahre alt. Während sich Reiters nun ehemalige Mannschaftskameraden in der Endphase der Sommervorbereitung befinden, ist Reiter nun in seine neue Arbeitswelt eingetaucht. Reiter wird künftig der Fernmeldekompanie der Gebirgsjäger in Bad Reichenhall angehören. Seit 1. Juli ist er bei der Bundeswehr. Kurz davor hat die OVB-Sportredaktion exklusiv einen aufgeräumten Stefan Reiter angetroffen, der ausführlich und sehr reflektiert über seine Karriere, das frühe Ende und die Zukunft gesprochen hat.
27 Jahre und Karriereende – warum jetzt, warum so früh?
Der Gedanke, mit dem Eishockey früher aufzuhören, war tatsächlich schon länger da. Ich wollte nicht mit Mitte, Ende 30 und dann vielleicht kaputtem Körper eine Ausbildung anfangen. Mir war relativ früh klar: Ich will etwas Neues anfangen, wenn ich noch voller Kraft und Saft bin. Und jetzt kam halt der Punkt. Dann kam auch das mit der Bundeswehr, wo es für mich gepasst hat. Das Thema war schon länger auf dem Tisch. Ich hatte auch Feuerwehr oder Polizei überlegt – schon etwas mit Action.
Und warum Bundeswehr?
Die Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten sah ich bei der Bundeswehr am größten, um mich weiter zu entwickeln. Ich mache jetzt die Feldwebel-Laufbahn und eine Ausbildung im IT-Bereich, danach könnte ich theoretisch die Offizierslaufbahn machen oder Hubschrauberpilot werden. Und das geht alles bei der Bundeswehr,
Wie lange dauert diese Ausbildung?
Für mich sind es viereinhalb bis fünf Jahre. Normalerweise dauert es drei Jahre, für mich kommt aber noch die IT-Ausbildung dazu. Ich starte jetzt drei Monate mit der Grundausbildung, dann kommt das Truppenpraktikum und danach die Schule in München.
Ist die IT denn so ein kleines Steckenpferd von
Ihnen?
Ich hatte mich davor tatsächlich noch nicht so damit beschäftigt. Mir wurde aber gesagt, dass IT-Feldwebel gesucht werden. Das passt in die heutige Zeit und kann auch für die Zukunft nicht schaden. Und so werde ich jetzt IT-Feldwebel.
Können Sie auch für einen Auslandseinsatz berufen werden?
Es kann sein, aber ich bin die nächsten fünf Jahre erst einmal nur in der Ausbildung. Und da bin ich in Bad Reichenhall stationiert, das war auch mein großer Wunsch.
Bislang war der Schläger Ihre Waffe, der ist nicht lebensgefährlich. Das ändert sich jetzt bei Ihnen…
Ich hoffe natürlich, dass ich die Waffe künftig niemals einsetzen muss. Mir ist auch bewusst, was man mit so etwas anrichten kann. Dieses Thema ist natürlich nicht einfach, es wird auch Menschen geben, die dafür kein Verständnis haben. Ich kann aber nur sagen: Sind wir froh, dass es solche Leute gibt, die Ihr Land verteidigen wollen – wenn nötig mit ihrem Leben. Und da rede ich ja nicht nur von der Bundeswehr, da geht es ja auch um die Polizei oder Feuerwehr, die irgendwo reinrennen, wo andere rausrennen.
Sie hören im besten Sportleralter auf, könnten in Rosenheim vor voller Hütte spielen. War die Liebe zum Eishockey nicht mehr so groß?
Ich liebe Eishockey, sonst hätte ich nicht so lange gespielt und den Sport nicht so lange professionell ausgeübt. Vor ausverkauftem Haus zu spielen und wenn 5000 Leute deinen Namen schreien, das macht schon süchtig. Man ist auch absolut privilegiert, so etwas machen zu dürfen. Auch wenn dieses Business an sich schon sehr ekelhaft und auch sehr oberflächlich ist.
Sie waren aber auch Teil dieses Business!
Auf jeden Fall! Im Berufsleben wird einem ja auch etwas angeschafft, was man zu erledigen hat. Aber wenn die Leistung mal nicht mehr erbracht wird, dann wird man halt auch ganz schnell ausgetauscht. Die Erfahrung, die ich in vielen Vereinen – und da spreche ich nicht von Rosenheim – gemacht habe, war schon so, dass oft nicht kommuniziert worden ist. Die Entscheidung ist einfach getroffen worden und für den Spieler hängt die Karriere dran. Du übst zwar einen Teamsport aus, aber am Ende spielt jeder für seinen eigenen Vertrag.
Wann ist denn Ihre Entscheidung gereift?
Ich hatte das schon länger im Kopf, wollte aber mit der Entscheidung nicht rausgehen, solange nicht der Klassenerhalt geschafft war. Den Trainern habe ich es schon früher gesagt, die wussten aber auch, dass ich bis zum letzten Spiel alles geben werde. Und ich glaube, dass man das auch gesehen hat.
Lassen wir Ihre Karriere mal Revue passieren: Was waren denn die prägendsten Momente?
Ich bin mit Bayreuth, Bad Tölz und Rosenheim aufgestiegen. Das sind Momente, die ich nie vergessen werde, auch nicht die vielen kleinen Dinge in der Kabine, die ganzen Gespräche dort. Und dann diese Sachen, wenn man einläuft und die Leute deinen Namen schreien! Dieses Im-Rampenlicht-stehen hat schon was, aber man darf auch die Schattenseiten nicht vergessen. Einmal sind wir die Besten und wenn es nicht läuft, dann sind wir halt scheiße. Da kann es auch sein, dass man beleidigt wird. Auch das prägt.
Hat sich der Aufwand rentiert?
Ja, eigentlich schon. Das ging ja von meinem Papa aus, dass ich – wenn ich einen Sport betreibe – möglichst Profi werden sollte. Ich habe mit Fußball angefangen, dafür war ich aber zu schlecht, das habe ich ja auch im OVB-Podcast („Hart gecheckt, Folge 14, d. Red.) erzählt. Mit sieben Jahren habe ich angefangen und es ging von da an eigentlich nur noch um Eishockey und um Profi werden, Profi werden, Profi werden. Es war hart und nicht immer lustig. Aber es hat sich schon rentiert.
Welche Leute haben Sie in Ihrer Karriere am meisten geformt?
Das sind schon viele, wo fange ich da jetzt an? Als ich in Bayreuth gespielt habe, war ich tatsächlich schon mal kurz davor, aufzuhören. Axel Kammerer hat mich überredet, wieder anzupacken – und ab diesem Zeitpunkt ist es fast nur noch bergauf gegangen. Er hat immer an mich geglaubt! Dann Patrick Köppchen, dem ich als Kind schon zugeschaut habe. Mit ihm durfte ich in Düsseldorf zusammenarbeiten und -spielen. Und da habe tatsächlich gesehen, dass von nix auch nix kommt. Er war immer der Erste im Training und der Letzte, der gegangen ist, und hat nicht umsonst über 1000 DEL-Spiele gemacht und Weltmeisterschaften bestritten. Bei den Jungadlern Mannheim durfte ich mit Leon Draisaitl und Dominik Kahun trainieren – jetzt zu sehen, welche Karrieren sie hingelegt haben, ist schon auch etwas Besonderes. Mir würden noch viele Namen einfallen, zu denen ich immer eine kleine Geschichte erzählen könnte. Aber nehmen wir die mal stellvertretend.
In der Rückschau: Gibt es spontan einen Eishockey-Moment, der Ihnen sofort vor Augen ist?
Tatsächlich das Tor von Brad McGowan. Vielleicht auch, weil es noch nicht solange her ist. Aber was da so alles dahinterstand, dieser ganze Druck… Die Stadt Rosenheim, der Verein, die Fans: Das war nicht ,Wir wollen aufsteigen‘, sondern ‚Wir müssen aufsteigen‘. Und dann diese Sekunde, wo man die Scheibe über die Linie gehen sieht, in der dieser ganze Druck abfällt – das war schon mit einer der prägendsten Momente.
Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt?
Vorm Tor. Ich war bereit, den Nachschuss reinzumachen. Aber ich war froh, dass er so durch war (lacht).
Haben Sie im Sportlerleben Ratschläge bekommen, die Sie nun auch ins neue Leben mitnehmen?
Einfach immer dranbleiben. Diese gewisse Selbstdisziplin aufbringen, die man haben muss, um etwas zu erreichen. Und dass man vielleicht nicht immer mit dem Strom mitschwimmt, sondern auch mal dagegen – auch wenn es wehtut. Ich habe relativ spät gelernt, dass ich meine Meinung sage oder einfach mal Nein sage. Da lerne ich heute noch. Ich war immer sehr introvertiert und habe alles mit mir selbst ausgemacht. Und dann zum falschen Zeitpunkt den Mund aufgemacht.
Bereuen Sie das?
Wenn man jung ist, denkt man über viele Sachen nicht nach und lässt das raus, wo ich im Nachhinein sage: Hätte ich doch meinen Mund gehalten oder es anders rübergebracht… Aber das sind Sachen, die man im Alter lernt und reifer wird. Und da kann man dann schon seine Meinung kundtun – aber nicht immer sofort und nicht immer Vollgas.
Gibt es eine Situation, die Sie heute anders lösen würden?
Ja, da gibt es mehrere Dinge. Eine Situation war bei den Jungadlern Mannheim. Ich bin damals das erste Jahr auf die Fachoberschule gegangen, war Mitteljahrgang und hatte das erste Angebot für einen Profivertrag. Ich hätte noch ein Jahr Jungadler spielen und meine FOS fertigmachen können. Das habe ich damals nicht getan. Für mich macht das jetzt den Unterschied, dass ich die Feldwebel- und nicht die Offizierslaufbahn machen kann. Das hätte ich damals sicher anders machen sollen.
Sie haben vorher vom Druck gesprochen, mit den Starbulls unbedingt aufsteigen zu müssen. In Ihrem zweiten Jahr in Rosenheim ging es darum, die Liga zu halten. Welcher Druck war größer?
Tatsächlich der vom zweiten Jahr. Denn alles, was davor passiert ist, wäre bei einem Abstieg umsonst gewesen. Es klingt ein bisschen blöd, aber das Aufstiegsjahr war so ein bisschen ein Selbstläufer. Die Mannschaft hat super gepasst, das hatte sich alles so eingespielt. Ich hatte deshalb in den Playoffs nie das Gefühl, dass wir das nicht schaffen würden. ,Wir werden aufsteigen‘ – das war alles so selbstverständlich.
Oft sagt man ja, dass drinbleiben einfacher ist als aufsteigen!
Ich fand das letzte Jahr tatsächlich schwieriger. Gerade zum Ende hin und speziell diese Playdowns, obwohl wir ja mit 2:0 in Führung lagen! Das war ein Druck, den man wirklich gespürt hat – ich zumindest. Und auch das klingt blöd: Irgendwie war ich froh, das noch einmal miterleben zu dürfen. Diese Playdowns haben mich menschlich auch noch einmal weitergebracht. In einer Situation zu sein, in der keiner sein möchte, noch einmal das Beste daraus zu machen!
Gerade mit dem Wissen, danach aufzuhören, dürften diese Playdowns noch einmal etwas mit Ihnen gemacht haben!
Auf jeden Fall. Wir sind jetzt dringeblieben, das ist alles, was zählt. Der Verein, die Coaches können jetzt wieder neu anfangen. Und ich habe meinen Teil dazu beigetragen, dass das in der zweiten Liga ist. Ich möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn das nicht geklappt hätte…
Wie würden Sie Ihre zwei Jahre in Rosenheim beschreiben?
Als sehr prägend. Auf jeden Fall war es eine wunderschöne Zeit, die ich sehr genossen habe. Ich bin sehr froh und stolz darauf, dass ich die letzten zwei Jahre meiner Karriere in Rosenheim verbringen durfte.
Die zweite Saison hat für Sie auf der Tribüne begonnen, nachdem Sie nach dem Aufstieg operiert wurden. Mit Ihren Gedanken aufs Karriereende haben Sie sich noch einmal herangequält.
Das war schon auch noch einmal eine besondere Situation. Das hat sich ja alles irrsinnig lange hingezogen, was mir aber durchaus bewusst war. Aber es war für mich selbstverständlich, mich wieder heranzukämpfen. Ich wusste ja, dass der Verein auf mich zählt.
Das konnte er auch, immerhin haben Sie noch 15 Saisontore erzielt!
Ja, ich war damit ganz zufrieden, auch wenn ich schon noch gerne das ein oder andere Törchen erzielt hätte.
Und zu weiteren Toren kann Sie nun wirklich niemand mehr überreden?
Nein, tatsächlich nicht. Ich habe gesagt, dass ich komplett aufhöre, dann ist für mich auch wirklich Schluss. Ich möchte mich hundertprozentig auf das konzentrieren, wofür ich mich entschieden habe. Vielleicht werde ich mit meiner Familie Schlittschuh laufen. Aber Eishockey? Da freue ich mich, wenn ich mal in Rosenheim vorbeischauen kann. Dann kann ich gescheit daherreden und dann ist’s auch wieder gut (lacht)!