Untersuchungsfeld Amateurfußball

von Redaktion

Soziologe Tim Frohwein über den Austausch zwischen Spielern und Schiedsrichtern

Wasserburg – Mit seinem Buch „Probetraining – Eine Reise an die deutsche Fußball-Basis“ hat Tim Frohwein im vergangenen Jahr bereits viele Facetten des Amateurfußballs abgedeckt. Das Schiedsrichterwesen war (noch) nicht dabei. Diesem wenig beleuchteten Themenfeld widmet sich der Soziologe in seiner neuen Veranstaltungsreihe Meet the Ref, die heuer in Wasserburg für den Regierungsbezirk Oberbayern durchgeführt wurde. Im Gespräch mit der OVB-Heimatzeitung spricht der Fußballromantiker über seine Faszination am Amateurfußball, den Austausch zwischen Spielern und Schiedsrichtern sowie die Ziele, die er mit seinem Projekt verfolgt.

Herr Frohwein, Sie sind Projektleiter der Veranstaltungsreihe „Mikrokosmos Amateurfußball“. Was fasziniert Sie so sehr am Amateurfußball, dass Sie sich mit dem Thema auch wissenschaftlich auseinandersetzen?

Ich bin mit dem Amateurfußball groß geworden und dort immer noch zu Hause: Seit rund 25 Jahren spiele ich in den Mannschaften des FC Dreistern München, mittlerweile im Ü32-Bereich. Während meines Soziologiestudiums zwischen 2005 und 2011 habe ich bemerkt, was für ein interessantes Untersuchungsfeld der Amateurfußball ist – und gleichzeitig festgestellt, wie unterforscht dieses Feld ist. Also habe ich damals beschlossen, in meiner Diplomarbeit soziale Netzwerke in Amateurfußballvereinen zu untersuchen. Kommt man über seine Fußball-Kontakte beispielsweise leichter oder günstiger an Dienstleistungen, Wohnungen oder Jobs ran? Inwiefern erhält man durch andere Mitglieder emotionale Unterstützung? Das waren damals die zentralen Forschungsfragen. Das war der Auftakt meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Amateurfußball, die ich dann nach Abschluss meines Studiums beruflich fortgesetzt habe. Meine Faszination für den Amateurfußball ist dadurch nur noch größer geworden – er ist so populär, facettenreich und gesellschaftlich relevant wie kein anderer Breitensport.

Ihr aktueller Schwerpunkt liegt auf dem Schiedsrichterwesen. Warum haben Sie sich genau diesem Thema angenommen?

Wenn man sich viel mit dem Amateurfußball auseinandersetzt, kommt man am Thema Schiedsrichter natürlich nicht vorbei. Bei Mikrokosmos Amateurfußball haben wir vor einigen Jahren mal eine Ausgabe mit dem Titel „Vielfalt, Respekt und Toleranz – Wird der Amateurfußball seinem Ideal gerecht?“ gemacht. Damals haben zwei Schiedsrichter sehr eindrücklich davon berichtet, was ihnen auf den Fußballplätzen dieses Landes so widerfährt – und das sind leider auch Beschimpfungen und andere Respektlosigkeiten bis hin zu Gewalt. Thaya Vester, die bekannte Schiedsrichterforscherin von der Uni Tübingen, die ebenfalls zu Gast war, konnte das damals mit- hilfe von Forschungsdaten unterstreichen. Nach dieser Veranstaltung kam mir die Idee, ein Dialogformat zu konzipieren, das dazu beitragen soll, das teilweise vergiftete Verhältnis zwischen Unparteiischen und Spielern wieder zu verbessern.

Das war dann wohl die Geburtsstunde von Meet the Ref, der Veranstaltungsreihe, die kürzlich auch beim TSV 1880 Wasserburg Station gemacht hat.

Richtig. Ich bin mit dem erwähnten Konzept auf Organisationen zugegangen, zunächst ohne Erfolg. Zum Glück habe ich dann im vergangenen Jahr mit der Philipp-Lahm-Stiftung und der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Organisationen gefunden, mit deren Hilfe ich das Format realisieren kann. Und als dann auch noch Thaya Vester gesagt hat, dass sie bei der Reihe dabei sein wird, wusste ich, dass das Projekt Potenzial hat. Mittlerweile haben wir drei Ausgaben in Bayern und eine Ausgabe in Baden-Württemberg umgesetzt. Das Setting ist dabei jedes Mal das gleiche: Wir laden in ein Vereinsheim ein, natürlich mit Unterstützung des jeweiligen Vereins. Dort führe ich dann zunächst ein Interview mit Thaya und einem Schiedsrichter oder einer Schiedsrichterin. Anschließend öffnen wir das Gespräch fürs Publikum, nach rund eineinhalb Stunden lassen wir die Veranstaltung bei Snacks und Getränken ausklingen.

Wie läuft das Projekt bislang?

Insgesamt bin ich recht zufrieden. Wir haben eigentlich bei jeder Ausgabe mindestens über 20 Teilnehmende gehabt, einmal sogar über 50. Ich habe den Eindruck, dass gerade Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, die bei den bisherigen Ausgaben auch immer unter den Gästen waren, ein großes Bedürfnis haben, ihre Erfahrungen zu teilen. Am meisten beeindruckt hat Thaya und mich, als wir beobachtet haben, wie sich Spieler und Schiedsrichter im informellen Teil einer Veranstaltung so richtig nähergekommen sind. Da hat ein sehr interessierter Austausch stattgefunden.

Was wollen Sie durch Meet the Ref bewirken?

Genau das! Wir wollen, dass Spieler – und ich verwende hier bewusst die männliche Form des Wortes, weil Respektlosigkeiten und Gewalt eigentlich nur im männlichen Amateurfußball vorkommen – in einen Dialog kommen mit Unparteiischen. Dass man sich kennenlernt, die Perspektive und die Motivation des anderen besser versteht. Bestenfalls wollen wir durch Meet the Ref nachhaltig die Fähigkeit zu Perspektivübernahme und Empathie auf beiden Seiten verbessern – eine Fähigkeit, die nicht nur im Fußball, sondern in einer vielfältigen Gesellschaft ganz allgemein von zentraler Bedeutung ist. Bis zum Jahresende wollen wir vier weitere Ausgaben umsetzen. Wer Interesse hat, ein Meet the Ref in seinem Vereinsheim stattfinden zu lassen, darf sich gerne melden.

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