Auf den Serpentinen von Hinterstoder

von Redaktion

Die Oberösterreich Rundfahrt markiert neben der Österreich Rundfahrt das zweitwichtigste Radrennen der Alpenrepublik. Und das neu gegründete MaxSolar Cycling Team aus dem Chiemgau hat dort seinen bisher wichtigsten Erfolg verzeichnet. Aus dem Teamfahrzeug der Chiemgauer berichtet Marko Aleksic von der OVB-Sportredaktion.

Auf den Serpentinen der letzten Bergwertung unterquerten die Fahrer mehrmals die Ski-Weltcup-Piste von Hinterstoder. Foto Marko Aleksic

Linz – Über 150 Kilometer, 1165 Höhenmeter und auf den letzten 8,3 Kilometern noch einmal 900 Höhenmeter auf dem Fahrrad überwinden. Was sich für Normalsterbliche wie ein unmögliches Vorhaben anhört, ist für die Teilnehmer der Oberösterreich Rundfahrt die letzte von drei Etappen. Mit dabei im Feld ist das MaxSolar Cycling Team aus dem Chiemgau und ich als Reporter der OVB-Sportredaktion. Zum Glück darf ich nicht auf dem Sattel, sondern im Teamauto neben dem sportlichen Leiter und Gründer des Chiemgauer Amateur Elite Teams, Heinz Kargl, Platz nehmen. Ansonsten hätte ich von der Zielankunft wohl nichts mitbekommen.

9.30 Uhr: Es ist Sonntag, eineinhalb Stunden vor dem Start, und auf dem Parkplatz, der für die Teambusse vorgesehen ist, hat es sich Kargls Mannschaft bereits gemütlich gemacht. Vor dem weißen mit Sponsorenlogos versehenen VW-Transporter warten die Fahrer etwas müde von den beiden Etappen der Vortage auf ihren Campingstühlen darauf, dass es losgeht. Beinahe 338 Kilometer hat Kargls Team zu diesem Zeitpunkt bereits in den Beinen. Und genau auf die kommt es laut dem Teamchef an: „Wir haben heute nochmal drei Bergwertungen, insbesondere beim letzten Anstieg wird es um Sieg und Niederlage gehen.“ Die Abstände zwischen den ersten 20 Fahrern im Gesamtklassement sind nach den ersten beiden Etappen nur gering. Eine Entscheidung am letzten Berg der Rundfahrt ist deshalb sehr wahrscheinlich.

„In einer Stunde ist Start“, sagt der Roadcaptain des jungen Teams, Daniel Reiter, der die Rundfahrt bereits zum neunten Mal hinter sich bringt. Mit 32 Jahren ist er der Erfahrene im Team, die restlichen Fahrer fallen unter die Kategorie U23. Reiter erklärt mir den Ablauf vor dem Rennen: „Wir schauen jetzt, dass wir die Startnummern auf den Trikots montieren, dass wir unsere Verpflegung sortieren und in die Taschen packen.“ Mit ihm werden drei weitere Fahrer für das Chiemgauer Team am Start stehen: Lennart Jasch, Gregor Stadlbauer und Claudius Wetzel. Was sie alle noch nicht wissen, ist, dass das Team an diesem Tag einen unerwarteten Erfolg einfahren wird.

10.30 Uhr: Im Fahrerlager herrscht mittlerweile reges Treiben. Ketten werden geschmiert, Reifendrücke überprüft, die Fahrer gehen ihr individuelles Aufwärmprogramm durch und Teamchef Heinz Kargl zeigt mir, was auf sein Team zukommen wird: „Unser Ziel ist es heute, in die Gruppe des Tages zu kommen. Der Schlüsselpunkt wird wahrscheinlich der letzte Anstieg. Da trennt sich spätestens die Spreu vom Weizen.“ Die Gruppe des Tages ist die Gruppe an Fahrern, welche den Sieg unter sich ausmachen wird. In der Regel bestimmt ein Team meistens einen Fahrer, der am Ende noch genügend Kraftreserven haben soll, um in der Gruppe des Tages mithalten zu können. Seine Teamkollegen geben ihm über den Großteil der Renndistanz deshalb Windschatten oder ein Helfer lässt sich zurückfallen, um das restliche Team mit Verpflegung zu versorgen. Ohne genügend Kohlenhydrate und Wasser schaffen es selbst die fittesten Rennfahrer nicht, das Tempo über solch weite Distanzen zu halten.

Der designierte Spitzenfahrer des MaxSolar Teams ist für die letzte Etappe der Radsport-Quereinsteiger Lennart Jasch. Er startete für Deutschland bereits im Eisschnelllauf-Junioren-Weltcup. Im Sommer fährt der 23-Jährige nun Rennrad für Kargls Team. Seine Paradedisziplin auf der Eisbahn: Natürlich die 10000 Meter Ausdauer-Distanz. Er steigerte sich in der zweiten Etappe mit dem 20. Platz vom 54. auf den 27. Platz in der Gesamtwertung. „Ich bin im Rennen der verlängerte Arm vom Heinz“, verrät Teamcaptain Reiter, dessen Aufgabe es ist, seinen Mitstreiter Jasch den Rücken freizuhalten: „Ich muss den Lennart, der jetzt in der Gesantwertung relativ weit vorne ist, aber noch wenig Erfahrung hat, ein bisschen positionieren, damit er seine Körner sparen kann und am Ende den letzten Anstieg gut hochkommt.“ Jetzt heißt es, um es in Reiters Worten zu sagen, „ab die Post und reinbeißen“.

11 Uhr: Wenige Meter vom Fahrerlager entfernt hat sich mittlerweile am Start die bunte Menge an Radlern versammelt. Am letzten Tag der Rundfahrt sind noch 117 von anfangs 137 Startern übrig. „Fünf, Vier, Drei, Zwei…“, zählt die Zuschauermenge herunter. Der Startschuss fällt und das Peloton setzt sich in Bewegung. Es geht in das nahe gelegene St. Florian und wieder zurück zum Start. Dreimal absolviert das Feld den Rundkurs mit zwei Sprintwertungen, die jeweils vier Punkte für den Sieger bedeuten, zwei für den Zweiten und einen für den Drittplatzierten, ehe es auf die offene Strecke mit dem Ziel im Skigebiet Hinterstoder geht.

Und nach den ersten Kilometern wird bereits die erste Attacke gefahren: „Eine Gruppe von zehn Fahrern hat sich vom Feld gelöst, Abstand 15 Sekunden“, ertönt eine Frauenstimme aus dem Funkgerät. Was vorne im Feld passiert, ist für die sportlichen Leiter in ihren Autos nicht zu sehen. Deshalb sind sie auf das „Radio Tour“ angewiesen. Alle wichtigen Informationen zum Rennverlauf wird den Teams darüber mitgeteilt. Kargl und ich haben uns mittlerweile mit dem Teamfahrzeug in die Fahrzeug-Kolonne eingereiht. „Aus der Teamplatzierung der vorhergehenden Etappe ergibt sich die Reihenfolge der Autos in der Kolonne“, erklärt Kargl. Das bestplatzierteste Team in der Mannschaftswertung darf das Feld somit auch ganz vorne in der Kolonne verfolgen, das schlechteste Team ganz hinten. Somit haben die besser platzierten Teams einen Vorteil, wenn es um die Versorgung der Fahrer geht.

12.15 Uhr: Das Fahrerfeld ist mittlerweile kurz vor der ersten Bergwertung. „Wenn es einer Gruppe an Fahrern gelingen sollte, sich jetzt vor der Bergwertung vom Feld zu distanzieren, dann wird dieser erste Berg in einem eher gemäßigtem Tempo gefahren“, erklärt der Teamchef und deutet mir mit seinem Kugelschreiber den besagten Streckenabschnitt auf dem ausgedruckten Streckenprofil an. „Sollte sich niemand von der Hauptgruppe absetzen, dann wird der Berg eher schnell gefahren“, fügt Kargl an. Schließlich gehen sechs Punkte auf das Konto des Siegers der ersten Bergwertung, vier bekommt der Zweitplatzierte und der Fünfte immerhin einen. Die restlichen beiden Bergwertungen auf der Strecke geben nur noch fünf Punkte an den Erstplatzierten. Der letzte „King of the Mountain“ (KOM) – wie die Bergwertungen auch genannt werden – auf die Hutterer Höss, gibt zehn Punkte.

13.30 Uhr: Weiß am Sattel markierte mit 752 Metern über dem Meeresspiegel den bisher höchsten Punkt der Etappe. Nach einer steilen Abfahrt geht es für die Fahrer in die dritte und letzte Sprintwertung des Tages. Gleichzeitig passiert das Feld damit in etwa die Hälfte der Renndistanz. Doch das Gelände wird ab jetzt immer hügliger und steiler, die Kräfte schwinden zudem. Innerhalb von 20 Kilometern müssen die Fahrer zwei weitere KOMs hinter sich bringen. Es ist die Zeit gekommen, in der sich das Feld separiert und in mehrere Gruppen zerfällt.

14 Uhr: Kargls Fahrer Jasch und Wetzel sind im vorderen Teil des Feldes, während Reiter und Stadlbauer bereits abreißen lassen mussten. „Eine Minute Dreißig auf Maloja eins und zwei!“, ruft er den beiden Fahrern vom Streckenrand aus zu. „Maloja musst du abhängen“, gibt Kargl Stadlbauer die rhetorischen Sporen, ehe wir die Gruppe in unserem Fahrzeug wieder überholen. „Wenn wir das Team Maloja hinter uns lassen, wäre das ein Erfolg für uns. Ich hoffe, dass die Jungs das jetzt auch tun“, sagt der Teamchef. Es ist zu spüren, wie das Rennen so langsam an Spannung zunimmt. Mit Vollgas versuchen wir, die vordere Gruppe einzuholen. Auf der abgesperrten Strecke erreichen wir Geschwindigkeiten an die 100 Kilometer pro Stunde und winden uns so durch die schmalen Bergstraßen, um die Lücke zu schließen. Knapp fünf Minuten dauert der wilde Ritt und macht deutlich, wie groß die Abstände mittlerweile sind.

14.30 Uhr: Von Jasch und Wetzel fehlt weiterhin jede Spur. Gebannt lauschen wir den Funkdurchsagen der Rennleitung und hoffen darauf, die Startnummern 201 und 202 zu hören. „Die Ergebnisse der dritten Bergwertung“, meldet sich die Frauenstimme aus dem Funkgerät. Kragl schnappt sich seinen Stift und macht sich bereit, die Zwischenergebnisse zu notieren. „Zwölf, Fünfzehn, Vierzehn“, verkündet die Rennleitung. Wir tappen weiter im Dunkeln, wie es um die beiden MaxSolar-Fahrer steht – und weit ist es nicht mehr bis zur Zielankunft. Das Highlight steht uns aber noch bevor, denn den längsten und höchsten Berg haben die Fahrer noch vor sich. Von Hinterstoder geht es für das mittlerweile nur noch etwa 100 Mann starke Feld bis hinauf zur Bergstation der Seilbahn des gleichnamigen Skigebiets. Im Winter werden hier Ski-Weltcuprennen ausgetragen. Immer wieder unterquert die kilometerlange Serpentinenstraße die Seilbahn und die mit Gras bewachsene Skipiste. „Das ist jetzt nur noch Kopfsache“, sagt Kragl. „Es geht jetzt nur noch darum, wer es mehr will. Kraft hat von den Fahrern keiner mehr.“ Das Feld ist jetzt in viele kleine Grüppchen zerfallen. Manche kämpfen die letzten Kilometer alleine. Ohne Vordermann, ohne Hintermann, ist es für die Fahrer schwer einzuschätzen, wie gut oder wie schlecht sie im Rennen liegen. Völlig ausgepumpt geht es für die meisten nurmehr darum, ins Ziel zu kommen. Zwei Fahrer duellieren sich über die letzten beiden Kilometer um den Sieg. Auf den Dritten sind es etwa 15 Sekunden. 15 Uhr: Die Rennleitung zählt die ersten zehn Startnummern auf. Auf der elften Position liegt die Nummer 201. „Jaa!“, ruft Kargl und ballt seine Hand zu einer Faust. Ausgerechnet der Neuling Jasch hat soeben für sein Team einen Sensationserfolg erzielt und seine ersten UCI-Punkte eingefahren. Wir stellen das Auto auf einem Parkplatz wenige hundert Meter unterhalb des Ziels ab und gehen die letzten Meter der steilen Teerstraße zu Fuß. Vergeblich versuchen wir, Jasch im Zielgetümmel zu finden. Auf der Bühne werden die Sieger geehrt und als ich mich wieder umdrehe, versuche ich vergeblich, in der Menschenmenge das Team zu finden. Ich mache mich also wieder auf dem Weg nach unten zum Teamfahrzeug. Nur Gregor Stadlbauer steht in voller Montur vor dem Auto. „Sind alle schon weg?“, frage ich ihn. „Ja, ich muss jetzt schauen, wie ich runter zum Teambus komme“, sagt Stadlbauer. „Wie liefs denn?“, frage ich und richte die Kamera auf ihn. „Ja, war ziemlich hart. Aber zum Glück hatte der Lennart mal wieder einen super Tag heute und ist auf den elften Platz gefahren. Das ist super für uns“, sagt er. „Was war denn der Knackpunkt“, will ich wissen. „Die erste Bergwertung ist relativ kontrolliert gefahren worden, die zweite dann schon eher schnell. Da hat sich dann das Feld geteilt“, entgegnet er mir erschöpft. Doch viel Pause wird es für die MaxSolar-Fahrer nicht geben. Bereits am nächsten Tag saß Stadlbauer schon wieder auf dem Rad und eine Woche später stand das nächste Rennen auf dem Plan. Denn im Gegensatz zu den Grand Tours wie dem Giro d’Italia oder der Tour de France, die drei Wochen andauern, ist die Oberösterreich Rundfahrt mit ihren drei Etappen nur ein Sprint.

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