„Das wird eine richtige Bereicherung“

von Redaktion

INTERVIEW Marcus Burghardt und seine neue Aufgabe für die Olympischen Spiele

Samerberg – Für Marcus Burghardt stehen die entscheidenden Tage an – allerdings nicht wegen der Tour de France. Der ehemalige Radprofi vom Samerberg ist im Bund Deutscher Radfahrer (BDR) mit dafür zuständig, wer Deutschland bei den Olympischen Spielen vertritt. Die OVB-Sportredaktion hat den 40-Jährigen, Etappensieger bei der Tour de France 2008 und Deutscher Meister 2017, nach den Klassikern und vor der Tour getroffen.

Was ist denn Ihre Aufgabe im Verband?

In erster Linie die Betreuung der Vertragssportler in Bezug auf EM-, WM- oder Olympianominierung und auch bei Rennen wie „Rund um Köln“, Frankfurt-Eschborn, der frühere „Henninger Turm“ oder die Deutschland-Tour. Da geht es dann darum, dass Andre Greipel und ich für diese Veranstaltungen die besten Fahrer aus Deutschland zusammensuchen.

Wie ist denn Ihre bisherige Saisonbilanz aus deutscher Sicht?

Es ist eigentlich so eingetreten, wie ich es erwartet hatte: dass Nils Politt der stärkste Fahrer ist. Er ist aus meiner Sicht ein sehr gutes Frühjahr gefahren, hat mit dem dritten Platz bei Flandern und dem vierten Rang bei Roubaix das bestätigt, was er in den letzten Jahren ansatzweise gezeigt hat. Ich traue ihm auch mal einen Sieg bei so einem Monument zu, auch wenn es gerade eine schwierige Zeit ist, wenn da mit van de Poel und van Aert absolute Superstars bei diesen Rennen sind. An die ranzukommen wird schwierig.

Wie beurteilen Sie die deutschen Aussichten?

Von Lenny (Lennard Kämna, d. Red.) hatten wir uns schon viel erwartet. Mit seinem Ausfall ist das natürlich schwierig zu kompensieren. Nils Politt sehe ich schon stark, auch John Degenkolb, wenn er einen guten Tag hat. Der ist zwar nicht so gut durchs Frühjahr gekommen, ist im letzten Jahr aber eine sehr starke EM gefahren, obwohl er nicht so viele Helfer hatte. Und ich hoffe immer noch ein bisschen auf Maximilian Schachmann und dass er sich wieder fängt. Aber man muss auch ganz klar sagen: Wir haben in Deutschland jetzt nicht den Überflieger, über den man sagen kann: Der wird jetzt Olympiasieger in Paris.

Gibt es denn vielversprechenden Nachwuchs?

Den haben wir, aber nur ganz wenige. Wir können da nicht wie Italien, Belgien oder Holland aus dem Vollen schöpfen. Wir haben den jungen Paul Fietzke, das ist ein guter Rennfahrer – aber die Belgier oder Holländer haben halt mindestens zehn davon. Und wir sind froh, dass wir einen haben.

Fietzke fährt momentan alles, ist beim Zeitfahren und bei den Straßenrennen am Start!

Das macht ja auch Sinn. Er ist ja noch so jung, da bist du ja mit der Entwicklung noch gar nicht fertig. Er muss sich ja auch noch finden und sehen, wofür er Talent hat und was ihm nicht so passt. Zu unserer Zeit war das ja damals genauso. Bis 24, 25 hast du noch alles gemacht und später hat sich dann rauskristallisiert, worin du wirklich gut bist.

Wann war bei Ihnen der Moment, an dem sie sich bei den Profis angekommen fühlten?

Das ging bei mir schon relativ schnell. Ich bin in meinem ersten Jahr bei T-Mobile im Frühjahr gleich richtig gut gefahren, da war ich 21. Ich bin da auch gleich Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix gefahren und habe auch gleich einen guten Stellenwert innerhalb der Mannschaft bekommen. Teamchef Walter Godefroot war gleich ein großer Fan von mir, der hat mich auch gestärkt und ich hatte dann gleich die sportliche Leitung und die Direktoren hinter mir. Deshalb bin ich schnell reingekommen.

Hier in der Region ist das U19-Team Grenke-Auto Eder beheimatet. Ist es für einen jungen Fahrer schwer, in den Profibereich zu kommen?

Es ist sogar einfacher, weil du in diesem Team schon mal gute Strukturen hast. Vielleicht auch schon ein bisschen zu gut, weil du zu den Profis schon fast keine Steigerung mehr hast. Wenn du da den Sprung nicht gleich schaffst und zunächst wieder in eine normale Vereinsmannschaft musst, dann ist es schon schwer, sich neu zu motivieren und dranzubleiben. Es machen ja viele auch erst mit 21, 22 einen Sprung und können dann noch Profi werden. Ich sehe aber die Gefahr, dass uns da viele wegbrechen und nicht mehr den Ansporn haben, weiterzumachen.

Fehlt da die Zwischenlösung?

Du brauchst ein gutes U23-Team, das dich auffängt.

Oder fehlt es den Fahrern an Geduld und Durchsetzungsstärke?

Du kannst von einem 18-, 19-Jährigen, der zwei Jahre in einem semi-professionellen Team unterwegs war und es jetzt nicht gleich schafft, nicht erwarten, dass der das von jetzt auf gleich verkraftet, dass er auf einmal wieder kleinere Brötchen backen muss, dass er jetzt wieder einfacheres Material hat und andere Unterstützung von Mechanikern oder Physios. Das ist in diesem Alter nicht so einfach.

Sie haben vorher angesprochen, dass andere Nationen Deutschland in der Nachwuchsarbeit voraus sind. Woran liegt das?

Das Hauptproblem ist ganz unten, da müssen die Strukturen verbessert werden. Das wäre für mich essenziell, da eine Unterstützung für Heimtrainer oder Landesstützpunkte zu schaffen. Wir haben ganz viele Trainer, die ganz viel ehrenamtlich machen. Aber das ist ja nicht nur im Radsport so, sondern auch in ganz vielen anderen Sportarten. Man muss das ja auch mal sehen: Die Trainer oder Vorsitzende in den Vereinen sind ja zumeist ältere Menschen, auch diejenigen, die Rennen und Veranstaltungen organisieren. Wenn die mal nicht mehr wollen oder können, dann wird das immer weniger.

Noch einmal zurück zu den Olympischen Spielen: Haben Sie sich die Strecke angeschaut?

Nein, wir haben dafür Trainer. Es wird aber mehr ein Rennen für Klassikerfahrer werden, das steht fest. Fahrer wie Politt oder Degenkolb werden da auf alle Fälle eine Kapitänsrolle bekommen.

Frankreich ist ja ein Riesen-Radsportland. Was erwarten Sie sich da rund um die Strecke?

Das wird ein Riesen-Sportereignis werden! Italien und Spanien ist nicht weit, die ganzen Belgier und Holländer haben es nicht weit, auch Deutschland ist nah – es werden so viele Zuschauer an der Strecke sein. Ich glaube, das wird eine richtige Bereicherung für Paris und für die Olympischen Spiele.

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