Rosenheim – 50 Spiele sind bei der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland bereits absolviert worden, das entscheidende steht aber noch an: das Finale. Dort treffen am Sonntag ab 21 Uhr Spanien und England aufeinander und kämpfen um den EM-Pokal. Vorbei ist der Wettbewerb demnach zwar noch nicht, dennoch hat das Turnier bereits einige Diskussionen ausgelöst. Das sagen die OVB-Sportredakteure zu den wichtigsten Fragen der EM 2024.
War das Handspiel
von Spaniens
Cucurella strafbar?
Hans-Jürgen Ziegler, Sportchef: Bei der Szene gibt es keine zwei Meinungen. Klarer Elfmeter, weil der Ball auch noch auf das Tor gegangen wäre. Bei einigen ungefährlicheren Situationen wurden in den Spielen vorher Elfmeter gegeben. Bei der Hand-Regel sollte geändert werden, ob das Handspiel absichtlich passierte und ob es eine gefährliche Situation gewesen ist.
Thomas Neumeier, Redakteur: Wenn man sieht, welchen lächerlichen Elfmeter die deutsche Mannschaft gegen Dänemark zugesprochen bekommen hat, dann war es ein klarer Elfer. Ich bin aber ganz beim Bundestrainer: Man muss auch sehen, was das Handspiel verhindert: Gegen Dänemark wäre die Flanke ins Nirgendwo gegangen, gegen Spanien war es ein aussichtsreicher Torschuss. Die Handregel muss geändert werden – vielleicht wäre es auch hilfreich, hier Fußballer aus der Praxis miteinzubeziehen.
Marinus Obermaier, Redakteur: Ich verstehe das Argument nicht, dass es eine natürliche Bewegung sei. Cucurella zieht seinen Arm zwar hinter seinen Körper, dadurch aber in die Flugbahn des Balls. Somit verhindert er eine klare Torchance. Für mich ein Elfmeter. Man sollte bei Handspielen miteinbeziehen, welchen Einfluss das Handspiel auf die Situation hat.
Marko Aleksic, Volontär: Für mich war das ein klares Handspiel. Ob mit Absicht oder nicht, Cucurella nimmt seinen Arm in die Schussbahn und verhindert damit eine gefährliche Torchance. Dass der VAR nicht eingreift und Schiedsrichter Taylor nicht zum Videobeweis geht, ist für mich unerklärlich. Es gibt Sensoren im Ball, es gibt den Videobeweis und trotzdem fällt in einem EM-Viertelfinale eine folgenschwere Fehlentscheidung. Das ist eine Farce für die UEFA und den Fußball.
Ist Deutschland ein
europäisches
Top-Team?
Ziegler: Nein, Deutschland ist noch kein Top-Team, allerdings ist der eingeschlagene Weg richtig. Das deutsche Team kann mit den europäischen Spitzenmannschaften mithalten, sie aber noch nicht besiegen.
Neumeier: Als Gastgeber die Gruppe mit sieben Punkten zu gewinnen und das Achtelfinale zu überstehen, ist ein Muss. Völlig verdient war man im Viertelfinale und hat dort die spielerisch stärkste Mannschaft Europas gefordert und beinahe besiegt. Ja, Deutschland ist mit dieser Turnierleistung wieder ein Top-Team – allerdings steht das Ganze noch auf wackligen Beinen.
Obermaier: Man sollte noch die nächsten zwei Jahre abwarten, um das zu beantworten. Deutschland hat aber die Qualität, oben mitzuspielen. Wer weiß, wie weit es gegangen wäre, hätte man Spanien geschlagen.
Aleksic: Von der Qualität der einzelnen Spieler war sie das die ganze Zeit, nur hat man es nicht auf den Rasen gebracht. Die Heim-EM hat gezeigt, dass die Mannschaft viel erreichen kann. Das Ausscheiden war ein herber Schlag, den man erst mal verdauen muss. Man muss seine Lehren daraus ziehen und heiß darauf sein, diese Scharte wieder auszuwetzen.
Was waren die Tops
und Flops der EM?
Ziegler: Top war Österreich mit dem Gruppensieg, der größte Flop war Kroatien.
Neumeier: Top waren für mich die Mannschaften, die ihr Herz auf dem Platz gelassen haben – da stachen Deutschland, Österreich und die Schweiz hervor. Und natürlich die fußballerisch starken Spanier. Flops waren der französische Beamtenfußball, die immer überschätzten Belgier und der erbärmliche Auftritt von Titelverteidiger Italien.
Obermaier: Top waren Österreich und die Türkei. Beide hätten noch weiter kommen können. Flop war Italien. Dort fehlt noch die Qualität, um vorne dabei zu sein.
Aleksic: Mehr erwartet habe ich von den Belgiern, natürlich war das Abschneiden auch ein wenig dem schlechten Start geschuldet. Positiv überrascht war ich von der Schweiz, für die es durchaus noch weiter hätte gehen können.
Defensive Spielweise
à la England:
langweilig oder
intelligent?
Ziegler: Nicht schön, aber effektiv. Hier zählt tatsächlich nur das Ergebnis – siehe Englands Trainer Southgate. Erst hart kritisiert ist er plötzlich der Held und sogar sein deutsches Double – der Polizist – wird in den sozialen Medien gefeiert.
Neumeier: Intelligent wäre es, die wirklich herausragende Offensivpower mal von der Leine zu lassen und den Angsthasen-Fußball abzustellen. Denn der hat dafür gesorgt, dass man mehrmals schon kurz vor der Abreise war. Dieses Festhalten an überspielten namhaften Kickern und dafür Cole Palmer, der eine unglaubliche Premier-League-Saison gespielt hat, auf der Bank zu verstecken, hat schon Züge von Jogi Löw im Endstadium.
Obermaier: Fußball ist Ergebnissport – und die geben England leider recht. Schön anzuschauen ist es nicht. Man kann sich nur ausmalen, wie attraktiv England spielen würde, wenn der Trainer sie lassen würde.
Aleksic: Wie sich zeigt, ist die Spielweise der Engländer effizient. Sie haben sich im Verlauf des Turniers stetig gesteigert und stehen deshalb verdient im Finale. Ein gutes Pferd springt eben nicht höher, als es muss.
Wer wird
Europameister?
Ziegler: Europameister wird Spanien, weil sich die individuelle Klasse letztendlich durchsetzen wird. Ergebnis 3:1.
Neumeier: Nach den bisherigen Leistungen Spanien, gelingt England aber eine weitere Leistungssteigerung, dann geht der Pott auf die Insel. Es wird wohl einen besonderen Moment brauchen, um das Finale zu entscheiden. Mein Tipp: 1:0 durch einen Olmo-Treffer.
Obermaier: Favorit Spanien wird sich das nicht nehmen lassen. Dafür wirken sie zu gefestigt. Ich tippe 2:1.
Aleksic: Mein Tipp: England dreht das Spiel nach 0:1-Rückstand und gewinnt 3:1. Die Spanier hatten zwar den vermeintlich schwierigeren Weg ins Endspiel, Southgates Mannschaft hatte aber bis jetzt immer eine Antwort.