„Jetzt bin ich wirklich in Paris-Verfassung“

von Redaktion

IM ZEICHEN DER RINGE Leichtathletin Alexandra Burghardt über Formanstieg, Kaffee und Beharrlichkeit

Mühldorf – Zwischen der deutschen Meisterschaft, der Olympia-Nominierung und den Olympischen Sommerspielen in Paris hat es für Alexandra Burghardt noch einen ganz besonderen Termin gegeben. Die 30-Jährige ist mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet worden. „Das war mir im ersten Moment gar nicht so bewusst, was das für eine coole Auszeichnung ist“, meinte die Leichtathletin gegenüber der OVB-Sportredaktion. „Es gibt ja auch nur 2000 lebende Ordensträger, und das ist ja schon ein illustrer Kreis, zu dem man sich zählen darf“, sagt die gebürtige Mühldorferin. Die Sprinterin, die in Paris mit der deutschen 4×100-Meter-Staffel gut abschneiden möchte, spricht im exklusiven Interview über ihre bislang schwierige Saison und zuviel Kaffeegenuss und erklärt, wann die Elf-Sekunden-Marke von ihr geknackt wird.

Wie schauen denn die Tage bei Ihnen noch aus, bevor es dann letztlich nach Paris geht?

Also, relativ viel reisen. Am Wochenende bin ich von der Schweiz zurückgekommen, da hatte ich jetzt noch vier Tage mit meinem Trainer und meiner Trainingsgruppe ein bisschen Feinschliff gemacht. Dann ging es von Altötting schon wieder nach Potsdam, wo wir noch Staffeltrainingstage haben. Am Freitag laufen wir dann noch mit der Staffel einen kleinen Wettkampf in Berlin. Danach halten wir uns wieder ein paar Tage in Kienbaum im Bundesleistungszentrum auf, machen ein Teambuilding. Und dann geht es noch nach Frankfurt und von dort dann im Zug nach Paris. Wir reisen erst am 5. August an.

Dann kriegen Sie die Eröffnungsfeier gar nicht mit?

Nein, leider nicht. Aber die Eröffnungsfeier hab ich noch nie mitgekriegt, weil wir unsere Wettbewerbe immer erst in der zweiten Woche haben. Dadurch ist man vorher noch im Trainingslager. Sonst bleibt halt die Schlussfeier.

Oder man muss Bobfahrerin werden, dass man die Eröffnungsfeier sieht!

Oder so, ja. Aber die hab ich damals auch nicht gesehen, weil es wegen Corona limitiert war.

Es war ein ganz besonderes Jahr bis jetzt für Sie, geprägt von der Verletzung und vom Herankämpfen!

Ich bin eigentlich dieses Jahr total optimistisch gestartet. Ich hatte eine super Hallensaison, fast die beste meines Lebens. Und ich hab mir dann gedacht, dass man vielleicht noch das eine oder andere Prozent mit einer ein bisschen verbesserten Statik rauskitzeln kann und hab neue Schuhe gekriegt. Und das war leider der Beginn der Misere im Sommer. Ich habe mir dann eine Entzündung im rechten Fuß eingefangen und fünf Wochen Laufpause gemacht. Jetzt ist der Schmerz immer noch nicht ganz weg, aber es ist sehr viel besser. Aber der Druck ist weg, um es irgendwie noch zu schaffen.

Löst sich da jetzt gerade ein Knoten?

Ja, schon. Weil es eigentlich bei der DM die allerletzte Möglichkeit bei mir war. Und beim Training letzte Woche ist noch einmal richtig was vorwärtsgegangen. Eigentlich richtig gut, wie die Form jetzt einfach kommt. Und es ist halt ein bisschen schade, dass es mit dem Einzelstart nicht mehr hinhaut, aber am Ende ist halt einfach die Zeit ausgegangen. Und es ist halt so bei uns im Sport, man muss dann damit umgehen und irgendwie die positiven Seiten sehen. Und die Saison ist noch nicht vorbei und theoretisch geht es auch noch recht lang. So wie sich jetzt die letzte Woche im Training gestaltet hat, habe ich schon Lust, noch einzelne Rennen zu machen.

Kann es sein, dass jetzt dennoch bei Olympia die beste Alexandra Burghardt des Jahres zu sehen ist?

Das auf jeden Fall. Die Form ist immer noch aufsteigend und eigentlich ist jede Woche, die kommt, besser.

Ist das noch dieselbe Staffel, die in den letzten Jahren gelaufen ist?

Das wissen wir jetzt ja noch nicht. Also theoretisch sind sechs Athletinnen nominiert und ob wir vier, die jetzt immer gelaufen sind, da dann dabei sind, das wird sich alles im Staffel-Trainingslager in dem anstehenden Wettkampf herausstellen. Und es wird auch bis nach den Einzelstarts gewartet, wie man dann die Staffel final aufstellt.

Ist das dann nicht schwierig für das Training mit den Kurven oder der Stabübergabe?

Wir machen das alle auch schon relativ lang, sind also relativ erfahren. Und wo auch noch nie was passiert ist, da kann man sich schon drauf verlassen. Es ist jetzt auch kein Hexenwerk. Natürlich ist viel Präzision gefragt und man muss eine gute Auge-Hand-Koordination haben. Es wird ja mit einer visuellen Marke gearbeitet, wo man dann abläuft. Und es ist schon so, dass man sehen muss, ob das jetzt zwei Hundertstel zu früh oder zu spät ist. Also, die Genauigkeit von einem Hundertstel zu sehen, die ist schon erforderlich. Aber auch da sind wir gut aufgestellt.

Die deutsche Staffel hat ja eigentlich immer ganz gut abgeschnitten. Was sind denn die Hoffnungen und wer sind die Favoriten?

Die Hoffnungen sind schon, dass wir den Sprung aufs Treppchen schaffen, auch bei Olympischen Spielen. Bei der WM ist uns das ja schon gelungen. Und jetzt möchte man natürlich auch bei Olympia um die Medaillen mitreden. Da muss natürlich alles perfekt laufen. Wir müssen alle in einer Top-Form sein, müssen auch perfekte Übergaben haben und vielleicht auch noch ein bisschen Glück. Aber es ist möglich. Die größten Konkurrenten sind eigentlich wie immer USA, Jamaika, Großbritannien. Auch die Franzosen sind aktuell sehr stark, die haben natürlich auch noch ein bisschen einen Heimvorteil, den wir auch in München hatten. Deswegen wird es auf jeden Fall sehr spannend und bestimmt sehr eng.

Sie waren in Rio und Tokio dabei, was waren denn Ihre bisherigen Olympia-Highlights?

Ich denke ganz oft an diesen Vorlauf aus Tokio, den ich mit 11,07 gewonnen habe. Das war eigentlich der schönste Lauf meiner Karriere. Der ist mir so einfach von der Hand gegangen! Und es war halt ein cooles Gefühl, auf so einer Bühne meinen Lauf zu gewinnen – auch, wenn das nur der Vorlauf war. Und natürlich die Olympiamedaille im Bob.

Die Spiele in Tokio waren pandemiegeprägt. Worauf freuen Sie sich nun ganz besonders?

Ich finde es total cool, dass Familie und Freunde im Stadion sind. Es gibt ein paar, die Tickets haben und das ist schon einmalig, weil ich bei meinen ersten Spielen in Rio am Ende leider nicht am Start war. Und das war ja auch viel zu weit weg. Und dann die zwei Corona-Spiele, wo auch keiner dabei sein konnte. Und wer weiß, ob es noch einmal Olympische Spiele bei mir gibt!

Die nächsten wären dann in den USA, das wäre ja auch wieder weit weg!

Ja, oder die Winterspiele in Cortina!

Gibt es denn auch andere Sportarten oder Top-Sportler, die Sie gerne sehen möchten? Jeder schwärmt ja immer vom olympischen Dorf und von den Begegnungen dort.

Die Stimmung im Dorf ist schon immer cool. Man trifft dann so beiläufig immer irgendwelche Stars. Das Witzigste ist aber, wenn sich dann irgendwer neben dir am Buffet bedient, den man bisher nur im TV gesehen hat. Zeitlich wird es leider ziemlich schwierig für mich, dass ich mir irgendwas anschaue. Vor unserem Wettkampf werden wir nichts anschauen, denn da sind wir in der vollen Vorbereitung. Das erste Ziel ist, dass ich mich gut vorbereite und dann auch wirklich zum Einsatz komme. Dann ist das nächste Ziel der Vorlauf und dann schauen wir zum Finale. Und danach schauen wir, ob wir uns noch was anschauen.

Wie sieht denn Ihr Tagesablauf am Tag X aus? Haben Sie gewisse Rituale?

Es kommt ganz drauf an, um wie viel Uhr die Läufe sind. Wenn es jetzt ganz spät ist, dann ist der Tag schon immer lang. Da geht man im Dorf noch in die Mensa, trinkt einen Kaffee und je nach Befinden geht man noch mal zum Physio. Vielleicht macht man sogar ein kleines Aufwärmen, einfach auch, dass der Tag ein bisschen kürzer wird. Aber ja, Kaffee ist bei mir dann schon immer hoch im Kurs.

Irgendwo steht bei Ihnen auf einem Profil: Ich laufe schnell und ich trinke zu viel Kaffee!

Das stimmt, aber mein neuer Spruch lautet eigentlich „my coffee is strong and so am I“. Das ist eigentlich mein neues Motto.

Wie viel Kaffee trinken Sie am Tag?

Es kommt eigentlich gar nicht auf die Menge an. Ich bin auch zufrieden, wenn es nur einer ist. Es ist eher die Qualität. Wenn es kein qualitativ hochwertiger Maschinenkaffee in einem Hotel ist, dann verzichte ich lieber. Man wird sehr wählerisch, wenn man selber eine gute Kaffeemaschine hat!

Ihre Bestleistung über 100 Meter sind 11,01 Sekunden. Wann fällt die Marke und es steht eine Zehn davor?

Ich glaube spätestens nächstes Jahr. Ich weiß nicht, was heuer noch passiert, aber ich traue mir auf jeden Fall noch eine niedrige Elfer-Zeit zu. Aber spätestens nächstes Jahr fällt die Elf. Aber es muss halt immer passen. Ich glaube, dass ich die Elf nicht mit einem Gegenwindrennen knacke. Deswegen muss man perfekte Bedingungen erwischen. Idealerweise 30 Grad und 1,8 Meter Rückenwind. Der optimale Zeitpunkt muss es sein, aber dann ist es auf jeden Fall möglich.

Da klingt sehr viel Selbstvertrauen mit!

Es gibt ein paar Parameter, die ich schon in meiner Karriere im Training gezeigt habe, und die einfach darauf hinweisen, dass das drin ist. Das gibt mir schon die Sicherheit, dass ich das kann und dass das in meinen Füßen steckt. Es muss halt immer viel zusammenpassen. Auch der Kopf spielt natürlich eine wichtige Rolle, auch der ist nicht immer gleich. Deswegen ist das wirklich permanente Arbeit.

Im letzten Jahr hat es bei einem Porträt über Sie geheißen: „Beharrlichkeit zahlt sich aus“. Das könnte auch über der aktuellen Saison stehen, oder?

Ja, ich glaube schon. Beharrlichkeit ist echt etwas, was mich durch meine ganze Karriere begleitet hat. Es ist ja auch nicht immer alles rosig gewesen und war von der einen oder anderen Verletzung geprägt. Aber ich habe schon gemerkt, dass sich das Dranbleiben eigentlich immer lohnt und dass es immer besser ist als aufgeben. Es ist natürlich leicht gesagt und es braucht immer viel Unterstützung dafür. Man braucht immer ein super Team, dass man das dann auch mental durchsteht. Aber so war es eigentlich auch dieses Jahr. Es ist eigentlich erst seit der EM ein bisschen lichter geworden am Horizont und eigentlich erst letzte Woche im Training so, dass ich sagen kann: „Jetzt bin ich wirklich in Paris-Verfassung.“

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