Rosenheim – Es war gerade die letzte Hochzeit des deutschen Fußballs: 2013 waren zwei Bundesligisten im Champions-League-Endspiel, 2014 krönte sich die Nationalmannschaft zum Weltmeister. Im Erfolg macht man die größten Fehler, heißt es. In dieser Zeit warfen die Profivereine vermeintlichen Ballast ab. Bayer 04 Leverkusen, Eintracht Frankfurt, der VfL Bochum – sie alle meldeten ihre U23-Mannschaften, die teils in der vierthöchsten Spielklasse vertreten waren, ab.
Und weil es die Großen machen, folgte man dem Treiben teilweise blindlings. Die SpVgg Unterhaching, Wacker Burghausen, 1860 Rosenheim – Aushängeschilder des bayerischen Fußballs – meldeten ihre zweiten Mannschaften vom Spielbetrieb ab. Finanzieller und organisatorischer Aufwand wurden dabei oft als Begründungen hervorgekramt. Und die negative Entwicklung der „Zweiten“ ging ja weiter: Der SB/DJK Rosenheim brachte nach zwei Abstiegen keine Mannschaft mehr zusammen, der SB Chiemgau Traunstein stieg zwar nicht ab, war aber auch nicht besser dran. Manchmal waren es einfach auch fehlende Wertschätzung oder Bequemlichkeit, die zum Aus führten.
Zehn Jahre nach dieser Abmeldungswelle gibt es aber die Renaissance der zweiten Mannschaften. Die „Zweiten“ vom VfB Stuttgart und Hannover 96 sind in die 3. Liga aufgestiegen, Eintracht Frankfurt, der VfL Bochum und Darmstadt 98 haben wieder U23-Teams im Spielbetrieb, die SpVgg Unterhaching ist mittlerweile wieder in der Bayernliga Süd vertreten. „Für unsere weitere strategische Ausrichtung im Nachwuchs und als Übergang zur Profimannschaft ist es wichtig, einen starken Unterbau zu haben“, erklärte Frankfurts Sportvorstand Markus Krösche. „Wir sind der Überzeugung, einen zielorientierten Übergang für talentierte Jugendspieler in den Herrenbereich zu schaffen“, begründete Darmstadts Cheftrainer Torsten Lieberknecht die Schaffung der U23. „Der Fußball im Herrenbereich ist ein komplett anderer als im Jugendbereich. Junge Spieler sollen Zeit bekommen, sich im Herrenfußball weiterzuentwickeln“, sagt Ex-Profi Heiko Butscher, der bei der Neugründung von Bochums zweiter Mannschaft mitverantwortlich zeichnete.
Im Kreis Inn/Salzach hat sich der TSV 1860 Rosenheim dazu entschlossen, wieder mit einer zweiten Mannschaft aufzulaufen. Gegen den ASV Au startete die junge Mannschaft mit einem 1:1 wieder in den Spielbetrieb. Ein Comeback nach etwas mehr als zehn Jahren. „Das war bei uns zwingend notwendig“, sagt Rosenheims Sportvorstand Peter Wimmer. „Wenn man so eine intensive Juniorenarbeit betreibt, dann ist es extrem wichtig, den Spielern so schnell wie möglich eine Spielmöglichkeit im Herrenbereich zu bieten.“
Die wiedergegründete zweite Mannschaft der Rosenheimer soll dabei das noch fehlende Rädchen in der engen Verzahnung zwischen Herren- und Nachwuchsbereich sein. „Wir haben U17- und sogar U16-Spieler, die im Fokus und im Trainingsbetrieb bei den Herren sind. Das hat etwas mit gezielter Talentförderung zu tun“, sagt Wimmer. Er weiß aber auch, dass die Entwicklung sogar mit 21 Jahren noch nicht abgeschlossen ist. „Es muss ja auch die Möglichkeit geben, dass sich so ein Spätzünder bei uns zeigen kann.“ Wimmer warnt aber davor, diese Mannschaften als Reserveteams abzustempeln. „Das darf keine Plattform für oben abgeschobene Spieler sein. Dann ist das schade um die jungen Spieler.“ Bei den Sechzigern sei das nicht der Fall, „wir haben eine verfrühte Möglichkeit, um im Herrenbereich zu spielen“.
Dass die Rosenheimer im Auftaktspiel eher eine U19 als eine U23 aufgeboten hatten, klingt zwar schon fast exzessiv, hat aber auch seine Begründung. „Wir haben ja fast keine älteren Spieler, die als Leitfiguren agieren können“, sagt Markus Wallner aus dem Rosenheimer Trainerteam. Er hofft auf einen schnellen Lernprozess seiner Youngster. „Vielleicht schon am Wochenende in Flintsbach. Da spielen Robert Köhler und Michael Denz mit ihren gefühlt 400 Regionalliga-Spielen. Da können sich die Spieler messen, das war bei mir damals nicht anders, als es gegen Nürnberg II mit Marek Mintal ging.“ In die gleiche Kerbe schlägt auch Wimmer: „Au hat eine dynamische Mannschaft. Und jetzt darf ein 18-Jähriger von uns vor Zuschauern ein Lokalderby gegen so eine Mannschaft spielen – das ist genau das frühere Heranführen, womit sich Spieler entwickeln können.“ Zudem sei die Kreisklasse in der Zusammensetzung eine „ganz interessante Liga. Für uns ist das absolut sinnvoll.“
Eine Kreisklasse mit interessanter Zusammensetzung hat seit Jahren auch die zweite Mannschaft des TSV Wasserburg. Es gibt Derbys gegen Griesstätt, Eiselfing, Babensham. „Wir messen unserer Reserve großen Wert bei. Sie ist ein wichtiger Teil unseres Vereinslebens“, betont Wasserburgs Abteilungsleiter Kevin Klammer, der als Aktiver selbst in der „Zweiten“ aktiv war. Unter anderem ist Ex-Profi Michael Kokocinski eine der Führungsfiguren dieser Mannschaft – auf und neben dem Rasen. „Wir wollen junge Spieler entwickeln und ihnen helfen, ihre ersten Schritte im Herrenbereich zu gehen“, so Kokocinski, der zugleich in der Jugendleitung aktiv ist.
Die klassenhöchste zweite Mannschaft im Kreis Inn/ Salzach ist beim TSV Buchbach daheim. Die zweite Garnitur des Regionalligisten ist derzeit in der Kreisliga 1 beheimatet. In der vorletzten Saison spielten die Buchbacher sogar noch in der Bezirksliga. Das war auch bei 1860 Rosenheim II der Fall – 2014, vor der Abmeldung.