Rentiere in der Mitternachtssonne

von Redaktion

1860-Triathletin Eva Iden im Exklusiv-Interview über ihre Radtour zum Polarkreis

Rosenheim – Denkt man an Radrennen, dann kommen einem als erstes die Tour de France, der Giro d‘ Italia oder die Vuelta a Espana in den Sinn. Das längste dieser Rennen, die Frankreich-Rundfahrt, dauert drei Wochen und verlangt den Teilnehmern knapp 3500 Kilometer ab. Die Samerberger Triathletin Eva Iden vom Rosenheimer BaderMainzl-TriTeam dagegen hat ein gänzlich anderes Abenteuer hinter sich gebracht. Sie absolvierte das „Ultracycling-Adventure“ Nordkap 4000, das vom Gardasee in Italien, 4200 Kilometer bis zum Polarkreis ans Nordkap führt. Exakt 16 Tage, 23 Stunden und 15 Minuten dauerte Idens Odyssee an den Rand des europäischen Festlandes. Nördlicher liegt nur die Inselgruppe Spitzbergen im Arktischen Ozean. Was die erfahrene Triathletin dazu getrieben hat, das extreme Bikepacking-Event zu absolvieren, und wieso der mentale Aspekt besonders wichtig dabei war, verrät Iden im Interview mit der OVB-Sportredaktion.

Das Nordkap 4000 ist kein gewöhnliches Radrennen. Es handelt sich um eine Bikepacking-Tour. Was kann man sich darunter vorstellen?

Man hat alles auf dem Rad mit dabei und ist damit komplett unabhängig. Übernachtungssachen, Wechselsachen zum Fahren, Wechselsachen für zwischendurch, Essen, Trinken, Werkzeug. Ja, und dann fährt man sehr lange Strecken, ist dauerhaft auf dem Sattel.

Haben Sie das davor schon mal gemacht?

Ich fahre nur Rad, ich habe kein Auto. Also fahre ich sowieso sehr gerne viel Fahrrad. Ich reise auch gerne mit dem Fahrrad, weil es einfach eine besondere Art zu Reisen ist. In der Art, mit so vielen Kilometern, auch so als sportliche Challenge, habe ich es noch nicht gemacht. Vor 14 Jahren habe ich mal eine Weltreise auf dem Rad unternommen. Da bin ich schon mal ein Jahr und sieben Monate mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, aber das waren halt kürzere Strecken. Da war viel mehr Gepäck dabei, weil ich auf viel mehr Wetter eingestellt war, mit Küche und so. Darauf habe ich diesmal verzichtet. Ich bin mit wenig Gepäck gefahren, sehr leichtem Gepäck, ohne Küche. Wir haben uns aus Supermärkten versorgt.

Was treibt einen dazu, so eine Distanz mit dem Fahrrad zurückzulegen?

Ich hatte überlegt, ob ich im Triathlon nochmal in Richtung Langdistanz gehe. Habe dann aber gesagt, dieses auf einen Tag fit zu sein ist mental sehr anstrengend, wenn man dann krank wird oder sich nicht wohlfühlt. Und dann habe ich gesagt, so ein Eintagesrennen, das ist irgendwie nix. Ich fahre gerne Fahrrad, ich fahre gerne Langstreckenrad, ich reise gerne mit dem Fahrrad. Am Nordkap war ich noch nicht. Ja, warum eigentlich nicht? Und so entstand die Idee, sich dort anzumelden und sich damit zu beschäftigen.

Wie viel Vorbereitung steckt in so einer Tour?

Ich habe mich im Dezember angemeldet. Und ab da fing eigentlich schon diese ganze Vorbereitung an. Du musst die richtigen Taschen besorgen, du musst dein Fahrrad abkleben, damit die Taschen nicht reiben. Du musst dich mit so vielen Dingen beschäftigen. Ich hatte natürlich schon einen Schlafsack und eine Isomatte, aber die hätten niemals an das Fahrrad gepasst. Das heißt, ich musste mir alles neu kaufen und es musste alles möglichst leicht sein.

Wie viel hat das Gepäck am Ende ungefähr gewogen?

Ich habe alles ganz genau abgewogen. (lacht) Ich wollte es genau wissen. Um die neun Kilo war das Gepäck, acht Kilo das Fahrrad und dann kommt natürlich noch dazu, wie viel Essen man dabei hat. Also bei den neun Kilo waren jetzt ein paar Riegel mit dabei, aber zwischendurch kauft man natürlich mehr ein, dann hast du natürlich noch mehr Gepäck durch Essen. Im Groben sind es aber neun Kilo.

4200 Kilometer
durch sieben Länder

Vier Checkpoints passierten die Teilnehmer des über 4200 Kilometer langen Ultracycling-Events durch sieben Länder. München, Berlin, die dänische Hauptstadt Kopenhagen und Rovaniemi in Finnland waren die Kontrollpunkte auf dem Weg zum nördlichst über Land erreichbaren Punkt europäischen Festlands. Atemberaubende Landschaften, scheinbar endlose Straßen und das bei Wind und Wetter. Am 20. Juli starteten die 350 Teilnehmer im italienischen Rovereto ihre Reise nach Norwegen, um als Finisher zu gelten, musste das Ziel am 10. August passiert werden. Am Ende schafften es nur 186 in der vorgegebenen Zeit, das Nordkap zu erreichen.

Ist man viel alleine unterwegs?

Wir waren bis zum Brenner gefühlt eine lange Schlange. Das war auch schon sehr beeindruckend und lustig, weil man da natürlich viele Leute kennengelernt hat. Im Laufe der Zeit zieht sich das immer weiter auseinander, weil dann viele noch die Nacht durch oder länger in die Nacht rein fahren. Und dann wird es wirklich auch leerer auf der Strecke. Und ich hatte das Glück am vierten Tag, mit einer zweiten Frau zusammen zu fahren. Erst waren wir zu dritt, später waren wir nur noch zu zweit und mit ihr bin ich bis ins Ziel gefahren, weil das super funktioniert hat. Das heißt, man war dann eben nicht die ganze Zeit alleine und konnte viel zusammen machen.

Man denkt bei so einer Strecke bestimmt nur von Tag zu Tag.

Das Ziel war immer, mindestens 200 Kilometer am Tag zu fahren. Und dann kam es einfach darauf an, dort zu stoppen, wo man eine gute Versorgung hat. Also einen Supermarkt, ein Hotel oder einen Campingplatz oder vielleicht einen See, wo man abends reinspringen kann und zelten kann. Also richtig festgelegt war es nicht. Ich habe morgens auf den Karten geschaut, bis wohin es ungefähr gehen könnte. Dann hatte man so grob das Tagesziel.

Gab es unterwegs auch mal Schwierigkeiten?

Man weiß ja immer nicht, ist was mit der Technik, ist was mit deinem Körper. Wir hatten einen Unfall mit einer Fahrerin, mit der wir zusammen gefahren sind. Sie ist von einem Auto angefahren worden, was echt nicht schön war. Das hat uns aber auch viel Zeit gekostet mit Unfallberichten und so.

Musste sie dann das Rennen abbrechen?

Nein, sie konnte zum Glück weiterfahren, hat es auch ins Ziel geschafft. Ein bisschen nach uns, aber sie hat es auch geschafft.

Sind Sie selbst gut durchgekommen?

Ich hatte einen einzigen Platten und das war es. Das hat super funktioniert von der Technik. Sonst hatte ich wirklich nichts.

Das Ganze haben Sie ja nicht nur für sich gemacht. Richtig?

Ich habe die Reise natürlich für mich gemacht, aber ich sammle das ganze Jahr schon Kilometer für die Spendenaktion „Gemeinsam um die Welt-Challenge“. Und ich habe einen sehr großzügigen Sponsor und die haben mir jetzt auch diese Tour einfach mit unterstützt. Das heißt, ich sammle auch noch Spenden durch diese Tour.

Und für jeden Kilometer gibt es dann einen bestimmten Betrag?

Also eigentlich sind es Laufkilometer. Radfahrkilometer werden durch vier geteilt. Also, wenn man 100 Kilometer gefahren ist, sind es 25 Kilometer, die angerechnet werden. Und da konnte ich natürlich bei 4200 Kilometern schon 1000 Kilometer sammeln.

Und wofür wird das Geld gespendet?

Für Silberstreifen e.V.. Das ist ein Verein in Vogtareuth für neurologisch erkrankte Kinder.

Als aktive Triathletin ist man ja von Haus aus fit. Wie haben Sie sich körperlich und mental vorbereitet?

Die Leute haben mich nicht mehr im Lauftraining gesehen und im Schwimmtraining auch nicht. Ich habe versucht, lange Radtouren zu machen. An Wochenenden oder zwischendurch immer auf dem Rad gesessen und habe drei Kurzreisen vorher gemacht, wo ich das Ganze schon mit Gepäck getestet habe. Weil ein Fahrrad mit Gepäck zu fahren, ist nochmal was anderes.

Gab es auch mal den Moment, an dem man sich denkt: Wieso mache ich das eigentlich?

Nicht ein Mal. Ich hatte jeden Tag richtig Lust auf Radfahren. Ich wollte jeden Tag wieder los und hatte eine wahnsinnige Freude. Ich wollte eigentlich auch nicht, dass es aufhört. Mein Körper wurde aber schon müde. Ich habe relativ wenig geschlafen in der Nacht. Es waren meistens zwischen fünf und sechs Stunden, die wir zum Schlafen hatten.

Die längste Etappe (von Checkpoint zu Checkpoint) war einmal komplett durch Schweden. War das zwischendurch nicht auch mal eintönig?

Also am Anfang war es schon irgendwie spannend, einfach zu sehen, wie viel Wald dort ist. Irgendwann nervt es dann. Also ja, durch ganz Schweden durchzufahren war teilweise etwas zäh. Gerade dann noch mit Regen und Wind. Aber wir haben dann Musik gehört, uns abgelenkt und einfach weiter. Und ich habe immer nach Rentieren Ausschau gehalten, weil ich die unbedingt sehen wollte.

Hat es geklappt mit den Rentieren?

Ich habe natürlich schon in Südschweden Ausschau gehalten, habe aber keine gefunden. Und im Norden kamen sie dann. Das war natürlich super.

Was war der schönste Moment?

Ich hatte wahnsinnig viele schöne Momente und hatte ganz oft Tränen in den Augen vor Freude, weil es mich einfach so gefreut hat, was ich da tue. Die Gegend, und überhaupt den ganzen Tag Radfahren zu können, dass das alles so gut funktioniert. Aber das Besondere, was ich nie vergessen werde, war die letzte Nacht. Ich bin immer zwischen 200 und 280 Kilometer am Tag gefahren und bei der letzten Etappe wollte ich die Mitternachtssonne erleben. Und es war keine Wolke am Himmel, wir hatten strahlenden Sonnenschein. Wir sind morgens um 7 gestartet, sind den ganzen Tag gefahren, abends nochmal im Supermarkt was einkaufen gewesen und dann sind wir die ganze Nacht durchgefahren. Die Sonne ging schon unter, wir haben den Sonnenball natürlich nicht mehr über dem Meer gesehen, dafür waren wir zu spät, aber es wurde einfach nie richtig dunkel und alles färbte sich in Pastelltöne. Etwa um 2.30 Uhr ging die Sonne wieder auf. Diese Farben und das über die Nacht zu erleben, das war irre. Da waren auch ganz viele Rentiere unterwegs.

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