Frankfurt – Als Schiedsrichter Felix Zwayer in der 62. Minute auf Freistoß entschied, musste VfB-Torhüter Alexander Nübel eigentlich schon geahnt haben, was nur wenige Sekunden später folgen würde. 18 Meter vor dem Tor legte sich Eintracht Frankfurts Omar Marmoush den Ball sorgfältig zurecht. Der Ägypter machte drei Schritte zurück, nahm einen kurzen Zwischenschritt Anlauf und jagte den Ball perfekt neben den linken Pfosten. Ein Traumtor!
So schwer es schon ist, auch nur einen Freistoß zu verwandeln, so besonders war Marmoushs Geniestreich zur zwischenzeitlichen 3:0-Führung Frankfurts in Stuttgart (Endstand 2:3). Es war sein dritter (!) verwandelter Freistoß innerhalb einer Woche. Weltrekord? So ganz genau sind sich die Statistiker darüber nicht einig. Sicher ist aber, dass sich Marmoush mit seinem Dreifach-Streich in einen elitären Kreis gezwirbel hat.
Laut Transfermarkt.de ist der Stürmer erst der zweite Bundesligaprofi überhaupt, dem eine solche Serie gelang. Der erste war Christian Fuchs im Trikot des VfL Bochum in der Saison 2009/10. An den Spieltagen 15, 16 und 17 gegen Stuttgart (1:1), Bayern (1:5) und Hannover (3:2) versenkte er den ruhenden Ball im Tor. Trifft Marmoush auch am Samstag (18.30 Uhr) gegen Bremen per Freistoß, gehört der Rekord ihm alleine.
International schafften nur zwei Stars dasselbe Kunststück: Juve-Legende Alessandro Del Piero in der Saison 2008/2009 und, na klar, Alleskönner Lionel Messi. Dem Argentinier gelang ein Freistoß-Triple sogar gleich zweimal: 2016/2017 sowie in der Spielzeit 2017/2018.
Doch was ist Marmoushs Erfolgsgeheimnis? Und wie schießt man eigentlich den perfekten Freistoß? TZ-Nachfrage bei einem, der es wissen muss: Sead Salihovic (40) schweißte in der Bundesliga für Hoffenheim und den Hamburger SV insgesamt zehn Freistöße in den Winkel.
„Das ist kein Zufall“, sagt Salihovic. „Sie können sich sicher sein, dass Marmoush das regelmäßig trainiert. Für den früheren bosnischen Nationalspieler sind ständige Wiederholungen das A und O, wenn es darum geht, einen ruhenden Ball möglichst zentimetergenau am Keeper vorbei im Tor unterzubringen.
„Fleiß und Training. Viel Training“, unterstreicht Salihovic. Er selbst habe nach fast jeder Einheit Extraschichten eingelegt, jeweils eine halbe Stunde an seinen Abläufen gefeilt: „Natürlich brauchst du auch die Schusstechnik, aber die entwickelt sich nur durch konsequentes Üben. Nur dadurch gewinnt man das Selbstvertrauen und die Sicherheit, Freistöße so zu verwandeln, wie Marmoush es aktuell tut.“
Das Besondere beim Star der Eintracht: Er ist technisch vielseitig. Gegen Bochum schoss er einen Freistoß durch die Mauer, gegen Prag streichelte er den Ball traumhaft schön in das Kreuzeck. Und beim 3:2-Sieg in Stuttgart schickte er den mit Effet getretenen Ball eben mit noch ein paar zusätzlichen km/h auf seine Reise ins Tor.
Jeder Schütze hat dabei seine eigene Technik. Bei Marmoush sieht das meistens so aus: Er läuft im 90-Grad-Winkel zum Ball an, zieht dann das rechte Schuss- über das linke Standbein – der linke Fuß knickt dabei quasi um. Marmoush steht so fast auf seinem Knöchel. So kann er dem Ball den größtmöglichen Effet mitgeben – in seinem Fall eine seitliche Rotation, auch Sidespin genannt. Den Rest übernimmt die Physik. Das Phänomen, das Torhüter verzweifeln lässt, heißt Magnus-Effekt und sorgt dafür, dass der Ball eine gekrümmte Flugbahn nimmt.
„Und es kommt natürlich darauf an, aus welcher Position und Entfernung man aufs Tor schießt“, sagt Salihovic. Maximilian Arnold z.B. macht sich den Effekt anders zu nutzen. Der Kapitän des VfL Wolfsburg ist für seine Flatterbälle bekannt, die für Torhüter schwer bis kaum zu antizipieren sind.
Auch Salihovic konnte so schießen – seine bevorzugte Technik war das aber nicht. „Das hat oft auch etwas mit Glück zu tun, ob der Ball ins Tor geht oder nicht“, sagt der Ex-Hoffenheimer und erinnert sich lieber an vergangene Zeiten: „Wenn da früher Diego beim Freistoß stand oder ich damals – da haben die Torhüter gezittert.“ So wie nun auch wieder bei Marmoush. Nübel kann ein Lied davon singen.
Johannes Ohr