„Das haben wir wahrscheinlich ein bisschen verschlafen“

von Redaktion

INTERVIEW Ex-Tour-de-France-Fahrer Marcus Burghardt über das Radsportjahr, Tadej Pogacar und eine deutsche Hoffnung

Rosenheim – Marcus Burghardt (41) hat auch im Winter genug zu tun. Der ehemalige Tour-de-France-Fahrer ist Präsidiumsmitglied im Bund Deutscher Radfahrer und hat selbst seine eigene Großveranstaltung zu meistern. Mit der OVB-Sportredaktion bilanziert der Samerberger das Radsportjahr 2024, spricht über Dominator Tadej Pogacar und benennt eine deutsche Zukunftshoffnung.

Zum Radsportjahr aus deutscher Sicht: Was waren denn die Highlights?

Das olympische Jahr ist natürlich immer etwas Großes für uns. Für den Verband ist das wichtig, auch, weil sich danach die Fördermittel richten. Wir haben den Fokus auf das Zeitfahren gesetzt, weil man da, wenn du unter den ersten Acht bist, mehr Fördermittel bekommt. Das Ziel haben wir gesehen. Das war dann mit Schachmann und Politt eigentlich gut. Im Nachhinein ist „Schachi“ Neunter geworden, da haben wir es knapp verfehlt. Im Straßenrennen waren sie nicht gut genug. Aber der Verband war ja trotzdem erfolgreich mit Medaillen auf der Bahn.

Allerdings auch nicht mehr so dominant wie früher!

Nicht mehr so, ja. Die Engländer, die Australier und vor allem die Chinesen haben brutal aufgeholt. Also da musst du halt wirklich up to date sein und das haben wir wahrscheinlich ein bisschen verschlafen.

Starke Leistungen gab es im Frauen-Radsport. Wie weit kann Antonia Niedermaier kommen?

Talent hat sie ja echt viel, und sie kann weit kommen. Wenn sie den Weg so weitergeht, dann würde ich ihr schon mal einen Sieg in der Grand Tour zutrauen.

Sie kommt ja aus dem Wintersport, wie immer mehr Radsportler. Wie sehen Sie diesen Trend?

Ich finde es wichtig, dass ein Rennfahrer schon von Grund auf gut ausgebildet ist. Klar ist es wichtig – und da geht auch die Tendenz hin – dass in erster Linie nach bestimmten Werten geschaut wird. Da gibt es mit Sicherheit auch eine Berechtigung dafür. Aber wenn du in der ersten Liga bist, quasi Champions League, dann sollten wir eigentlich Kollegen und Fahrer haben, die schon eine Ausbildung haben und nicht so, dass du da noch irgendwie große Ausbildungsprozesse machen musst. Das ist Aufgabe von Heimtrainern und Nachwuchstrainern, die die Sportler vorbereiten.

Der große Triumphator war Tadej Pogacar. Diese Dominanz ist schon beeindruckend, oder?

Man sieht ja am Ende oft diesen Abstand, den er hat. Das ist halt auch dem geschuldet, dass der einen guten Ticken besser ist als die Konkurrenz. Und das sehen die ja auch und konzentrieren sich dann lieber darauf, Platz zwei oder drei abzusichern. Und dann verändert sich halt das Rennen und du fährst nicht mehr so aggressiv nach bei Pogacar. Dadurch kommt er halt mit so einem großen Vorsprung an.

Trotzdem: Was macht ihn aus?

Ich bin der festen Überzeugung, dass der einfach den Ticken mehr Talent besitzt. Und was halt bei dem ist: Der ist ja alle Nachwuchsklassen durchgangen, der ist gut ausgebildet. Ich vergleiche das ein bisschen mit Peter Sagan. Und mit dem habe ich ja live trainiert und gesehen, was der wie gemacht hat. Und bei dem ist mir so richtig vor Augen geführt worden, was Talent ausmacht. Der hat im Trainingslager kaum Intervalle trainiert in den vier Wochen und ich fahre in der Woche fünf-, sechs- oder siebenmal Intervalle. Und dann kommen wir zum Tirreno und der fährt mit den besten Fahrern auf der Königsetappe mit und mich hängen die ab. Aber ich habe eigentlich viel besser trainiert – und er hat das halt alles mit Talent gemacht.

Sie haben in Ihrer Karriere so viele prägnante Radsportler erlebt. Wo stufen Sie Pogacar jetzt schon ein?

Ganz oben. Wenn du das Palmares anschaust und der in manchen Wertungen mit dem Hinault oder mit dem Eddy Merckx gleichzieht! Das wird noch nicht alles gewesen sein! Also ich sehe da jetzt auch niemanden, der da so richtig rankommt. Du hast noch Vingegaard und für die Eintagesrennen Evenepoel vielleicht noch.

Was stehen 2025 für Highlights auf dem Programm?

Auf alle Fälle wieder EM und WM, das ist ja eigentlich das Größte für uns auf der Verbandsebene. Es wäre schön, wenn wir wieder die Deutschlandtour fahren können. Und dann wäre es natürlich gut, wenn wir bei der WM und EM wieder Medaillen holen. Das haben wir ja dieses Jahr im Team-Relay geschafft. Da sind wir ja die letzten Jahre immer recht erfolgreich gewesen, aber bis ganz oben war es halt oft knapp. Das ist ja eine Kombination aus Frauen und Männern und es wäre schön, wenn sie zusammen einen Titel holen könnten.

Wer ist denn Ihr Hoffnungsträger für die Zukunft?

Das ist Niklas Behrens, der bei der U23 Weltmeister geworden ist. Der fährt für Visma im nächsten Jahr. Das ist ein Rennfahrer, auf den können wir uns in der Zukunft freuen! Der kommt vom Rudern, ist auch ein bisschen ein Quereinsteiger, aber der ist brutal stark.

Was sind für Sie die wichtigsten Aufgaben im nächsten Jahr?

Mein Event „Shades of Speed“ vorbereiten. Am 1. Dezember machen wir die Anmeldung auf, wir haben viele Neuerungen dazugenommen. Das ist jetzt mehr ein Festival, das von Freitag bis Sonntag läuft. Freitag mit Konzert, Samstag Familientag, wo wir erstmals eine Kinderstrecke anbieten, und am Sonntag ein ganz normales Programm mit sechs Strecken auf der Straße. Mit den Kindern gibt es einen Laufradparcours. Es ist mir wichtig, dass wir den Nachwuchs mitnehmen. Und am Samstag wollen wir die E-Biker mit reinnehmen. Es gibt so viele E-Biker hier in der Region, aber es gibt keine Veranstaltung für sie. Das Konzept aus Kulinarik und Sport mit gemeinschaftlichem Fahren wollen wir auch ihnen anbieten.

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