Lenzerheide – Dr. Jan Wüstenfeld ist seit vielen Jahren als leitender Arzt für die deutsche Biathlon-Nationalmannschaft tätig. Der 49-Jährige war selbst erfolgreicher Athlet, 1997 gewann er ein Weltcuprennen. Im Interview spricht er vor der Biathlon-WM 2025 in der Lenzerheide über seinen Werdegang, die medizinische Entwicklung im Biathlon, die neue Stabilität von Franziska Preuß und die vielen Ausfälle im Wintersport. Zudem beantwortet er die Frage, ob weibliche Biathleten öfter krank werden als männliche.
Wie wird man leitender Teamarzt der deutschen Biathlon-Nationalmannschaft?
Ich war selbst Athlet und habe mich während meiner Karriere schon für Medizin interessiert. Nach der aktiven Laufbahn habe ich Medizin studiert, beim damaligen leitenden Mannschaftsarzt mitgearbeitet und bin irgendwann selbst in die Position gerückt.
Wie hat sich die ärztliche Betreuung im Vergleich zu Ihrer aktiven Zeit verändert?
Eigentlich gar nicht so sehr. Ich glaube, dass zu meiner aktiven Zeit schon sehr fortschrittlich und sehr wissenschaftlich gearbeitet wurde. Die Sportmedizin wurde aktiv mit eingebunden. Damals vielleicht noch so ein bisschen im Alleingang, heute ist die Arbeit auf mehrere Schultern verteilt und mehr Experten sind im Boot.
Die Biathleten werden von verschiedenen Ärzten betreut. Wie wird dieses Team zusammengestellt?
Ich bin für die Zusammenstellung verantwortlich und will Ärzte in meinem Team haben, die die Sportart gut kennen und idealerweise selbst ausgeübt haben. So entwickelt sich eine natürliche Verbindung zu den Sportlern, Lösungswege ergeben sich an manchen Stellen leichter. Ein Beispiel: Ich hatte mal eine Sportlerin, die Fußbeschwerden hatte und einfach keine Besserung eintreten wollte. Zufälligerweise hatte ich in meiner Karriere genau die gleichen Beschwerden. Ich hatte damals die Bindung einfach ein kleines Stück nach hinten gesetzt und das Problem so behoben. Bei der Athletin hat es auch funktioniert.
Kommen wir zu ihrer aktuellen Tätigkeit. Wie oft sind Sie im Laufe der Saison im Einsatz?
Wir sind drei Ärzte und teilen uns die Weltcupsaison untereinander auf. Wir haben ja auch alle noch andere Jobs und ein Privatleben, also wir können nicht rund um die Uhr immer bei der Mannschaft sein. Durch die Verteilung gewährleisten wir aber eine umfassende Betreuung der Athleten. Alles, was nicht vor Ort passieren muss, klären wir dann über Telefon.
Wie genau sieht die Betreuung vor Ort aus?
Wir haben drei Kisten, die im Winter mit dem Wachstruck durch die Gegend fahren. Da ist im Prinzip unser gesamtes medizinisches Equipment drin. Von Bindehautentzündung bis Durchfall – wir sind auf alle Probleme vorbereitet. Dann hängt es vom Standort ab, ob wir zusätzliche Diagnostikgeräte mit an Bord haben. In Ruhpolding ist das nicht nötig, da haben wir unsere medizinischen Partner in der Region. Bei anderen Weltcupstationen nehmen wir aber durchaus mal zusätzliche Geräte mit.
Sind Wintersportler anfälliger für Infektionskrankheiten als andere Athleten?
Das ist wissenschaftlich umfangreich untersucht worden und kann so nicht pauschal gesagt werden. Es gibt zwei große Unterschiede zu Sommersportlern. Im Winter sind in Summe einfach mehr Menschen krank, dadurch steigt natürlich auch die Infektionsgefahr für die Sportler. Kommen wir zur zweiten Ebene. Der Kalender im Biathlon ist so eng geschnitten, dass ein Infekt schon die Hälfte der Saison gefährden kann. Bis man sich vollständig erholt hat, dauert es einige Tage oder sogar Wochen. Das kann im schlechtesten Fall dazu führen, dass man viele Wettkämpfe oder das Saisonhighlight verpasst. In vielen Sommersportarten ist der Kalender in der Regel nicht so komprimiert.
Welche Rolle spielt der Faktor, dass man Ausdauersport bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt betreibt?
Der Faktor ist nicht so hoch, wie man das so landläufig meinen würde. Für die Immunabwehr sind die Rahmenbedingungen natürlich eine Herausforderung. Aber daran gewöhnen sich die Athleten mit der Zeit. Viel mehr sind es die bereits erwähnten äußeren Einflüsse durch Infektwellen, von denen man sich nicht immer komplett isolieren kann. Um es einfach darzustellen: Wenn wir unseren Sport unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter Ausschluss familiärer Einflüsse in der Antarktis durchführen würden, würde gar keiner krank werden.
Werden weibliche Wintersportler öfter krank als ihre männlichen Kollegen?
Plakative Frage, klare Antwort: Nein! Es gibt diesbezüglich keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern.
Welche Rolle spielt die Psyche in Bezug auf den Heilungsprozess bei Infektionskrankheiten?
Da gibt es mit Sicherheit einen Zusammenhang, der sich aber nicht messen lässt. Wir haben viel mehr das bereits angesprochene Problem mit dem Zeitfaktor. Die Sportler wollen die Wettbewerbe laufen, für die sie den ganzen Sommer trainiert haben. Nicht falsch verstehen: Wir schicken keinen Athleten krank in die Rennen. Aber selbst wenn die Laborwerte wieder gut sind und die Sportler sich gesund fühlen, gibt es keine Garantie, dass das Immunsystem auch wirklich wieder voll auf der Höhe ist. Es kommt dann in manchen Fällen wieder zu Rückschlägen, was mental schwer zu verkraften ist.
Die WM 2025 und Olympia 2026 finden an Orten über 1000 Meter Höhe statt. Welchen Einfluss hat das auf einen Körper?
Wir reden von einer mittleren Höhe, die eine gewisse Akklimatisierungsphase benötigt. Die körperliche Beanspruchung steigt in der Höhe. Gerade wenn man leicht angeschlagen ist, kann der negative Kipppunkt schneller einsetzen. Daher braucht es individuell gut abgestimmte Konzepte für die jeweiligen Athleten.