„Ich bin besonders, aber nicht anders“

von Redaktion

Freilassings Leon Windisch: Gehörlos seit Geburt – und beeindruckend in jeder Hinsicht

Freilassing – In diesem jungen Fußballer steckt enorme Lebensfreude: Das zeigt Leon Windisch vor allem, wenn er ein Tor für seinen ESV Freilassing schießt. Dann strahlt der 20-jährige Landesliga-Kicker in einer Art und Weise, die ansteckend auf alle wirkt, die um ihn herum sind und das miterleben dürfen. Erstaunlich, da er seit Geburt mit einer erheblichen Beeinträchtigung leben muss: Windisch ist gehörlos! Doch der gebürtige Linzer würde deshalb niemals jammern oder hadern, im Gegenteil: Seine höchste positive Ausstrahlung gestaltet sich in jeglicher Hinsicht einzigartig.

Die Gehörlosigkeit erbte Leon Windisch von seinen Eltern. Sein Glück: die Gnade der „späten“ Geburt 2004. Denn bereits als Baby bekam er ein „Cochlear Implantat“, das ihm mittels zweier Magnete – eines im, eines am Kopf – früh das Hören ermöglichte. Und somit auch das Erlernen des Sprechens. Ein technischer Fortschritt, in dessen körperliche Genuss-Entwicklung seine Eltern noch nicht kamen. Deshalb „unterhält“ er sich mit Mama Sabine (eine Österreicherin) und Papa Helmut (ein Deutscher) in der Gebärdensprache, die er von ihnen beigebracht bekam und als seine Muttersprache bezeichnet. „Ich bin also zweisprachig“, lacht er.

Damit zeigt er seine außergewöhnliche Art des Humors und wie er mit der Beeinträchtigung, die für ihn nicht wirklich eine lebensbehindernde ist, umgeht: offen, ehrlich, authentisch. Sein Implantat – „kein Hörgerät, sondern eine Hörprothese“, betont Windisch –, ermögliche ihm ein 50- bis 60-prozentiges Wahrnehmen von Sprache und Geräuschen. Wenn er das Implantat abnimmt, herrscht absolute Stille: „Ich höre nicht mal das Blutrauschen im Kopf.“ Wer heute gehörlos geboren wird, erhält in der Regel für beide Ohren je ein Implantat. „Ich bin mit einem aufgewachsen, komme gut damit zurecht und fühle mich gut damit – ich bin es halt einfach so gewohnt.“ Windisch fühlt sich deshalb nicht „anders als die anderen“, nur weil er grundsätzlich gehörlos ist. Wenn Leute aufgrund seiner Beeinträchtigung auf ihn „reagieren“, erzählt er offen davon, weil „ich kein Problem damit habe.“

Mit seinen erst 20 Jahren hat er es bereits bis in die Landesliga geschafft, die 6. Liga in Deutschland. „Profi werde ich nicht mehr, das ist abgehakt“, lacht er, denn selbstverständlich sei das „doch bei den meisten Fußball-Kindern“ ein Ziel. Erfahrungsgemäß ist immer die nächsthöhere Klasse erstrebenswert: „Die Bayernliga würde ich mir schon mal gern anschauen, das wäre interessant“, sagt der in Traunstein lebende Fußballer, der mit Teamkollege Moritz Seybold aus Traunreut eine Fahrgemeinschaft bildet. Beim ESV Freilassing ist Windisch zu 100 Prozent integriert: „Ich fühle mich hier sehr wohl.“

Am liebsten spielt er trotz starkem rechtem Fuß auf der linken Außenbahn. Er ist vielseitig einsetzbar, das weiß auch Coach Albert Deiter, der ihn bereits als Mittelstürmer oder Achter aufbot. „Darüber war ich nicht so begeistert“, schmunzelt der Offensive, der jedoch selbst von dieser Position ein Tor erzielte. Zuletzt gelangen Windisch in fünf Spielen sechs Treffer, wie zuletzt beim 5:0 in Kirchheim: „Das ist schon außergewöhnlich. Weil ich überhaupt nicht damit gerechnet habe.“ Über eine Tatsache muss er ebenfalls lachen: „Zu sagen habe ich als junger Spieler nichts. Es gibt die Spieler, die älter sind, erfahrener. Denen hört man zu, dem Kapitän Simon Schlosser, einem Max Streibl oder Chris Niederstrasser. Das ist ein ganz normaler Ablauf.“

Zum Fußball kam Windisch, weil schon sein Vater spielte, unter anderem beim TSV Fridolfing. Als er noch klein war, kam er mit seinen Eltern nach Bayern. Er durchlief alle Jugend- und Juniorenklassen und landete über den SV Erlstätt und die DJK Traunstein beim SB Chiemgau Traunstein, kickte dort bereits in der Landesliga. Die momentan ebenfalls in den Klassenerhaltskampf verwickelten Kreisstädter sind für Windisch eine besondere Situation: „Ich habe elf Jahre dort gespielt, freilich ist mein Herz auch dort.“ Im Sommer 2024 kam er zum ESV Freilassing, der Kontakt kam über seinen früheren SBC-Jugendcoach und aktuellen ESV-Zweite-Trainer Coach Alex Schorb zustande.

Und schon wieder eine Besonderheit: Windisch war und ist im Grunde immer noch, wenn Zeit ist, Teil des Gehörlosen-Teams „Bergfreunde München e.V.“. Dazu kam er als 15-Jähriger nach einem Hörgeräte-Fußballcamp-Turnier in Garmisch-Partenkirchen, bei dem er „ganz nebenbei“ 27 Tore schoss. Dem nicht genug: Sogar zwei Spiele mit der U21-Gehörlosen-Nationalmannschaft, eines in Belgien, absolvierte er. Für die Lehrgänge bei den Herren fand er aufgrund seiner Engagements in Traunstein und jetzt in Freilassing noch keine Zeit. Bei Länderspielen muss das Implantat abgenommen werden, damit sich alle auf dem gleichen, komplett gehörlosen Level befinden.

Die Verständigung auf dem Platz erfolgt in der Gebärdensprache. Windischs Ziel: die Deaflympics, die Olympischen Spiele für Gehörlose 2027 in Australien. Für die EM im letzten Jahr war er nominiert, ein Kreuzbandriss (zugezogen im Oktober 2023 bei einem Match mit dem SBC in Pullach) machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung. Die Verletzung im rechten Knie ist auskuriert, Leon Windisch ist beschwerdefrei, nachdem sein erstes halbes ESV-Jahr aufgrund der Verletzung „irgendwie komisch“ war. „Ich war schon unzufrieden, weil ich natürlich spielen will.“

Mit dem Hilfsmittel, welches Windisch am rechten Ohr trägt, nimmt er während eines Spiels mit seinem ESV bei Weitem nicht alles Akustische wahr. „Ich brauche immer den Augenkontakt, damit ich weiß, dass ich gemeint bin. Wenn ich den Trainer anschaue, weiß er, dass ich in diesem Moment nur ihm zuhöre. Je weiter ich aber von ihm entfernt bin, desto schwieriger wird es.“ Von seinen Mitspielern bekommt er bei Weitem nicht alles mit, was – in den meisten Fällen – gerufen wird. „Und wenn es richtig windig ist, höre ich tatsächlich nur ein Rauschen.“ Trotzdem funktioniert das Zusammenspiel mit den Team-Kollegen, wie die jüngsten Windisch-Tore bewiesen. Das meiste läuft über das Sehen. Er muss nicht alles hören, das ist sogar von Vorteil: Weil er viel fokussierter ist, sich zu 100 Prozent auf sein Spiel konzentrieren kann. Windisch sieht sich nicht als einer der besseren Landesliga-Spieler, ehrgeizig ist er jedoch sehr wohl: „Ich will weiterkommen.“

Das Einzige, das neben dem Verteidigen („nicht mein Ding“) wirklich schwierig ist: Kopfbälle. Als er einmal einen Ball in der Luft nehmen wollte, prallte ein Gegenspieler auf sein Implantat, welches prompt kaputtging. „Es ist nicht direkt eine Schwäche, aber ich mache das halt nicht so gern. Da spielt immer die Sorge mit rein, dass etwas passiert.“ Komische Reaktionen erlebt er höchst selten: „In der U15 meint mal einer, ich solle meine AirPods rausnehmen. Die meisten meinen, es sei ein Hörgerät, zuletzt der Schiedsrichter im Garching-Spiel.“

Leon Windisch macht gerade sein Fachabitur in Traunstein mit einer Ausbildung im Hotel- und Tourismusmanagement. Im September beginnt der Bayern-Fan, der daheim gern Dartpfeile wirft, eine weitere Lehre als Automobilkaufmann in Traunreut. Dem allen nicht genug. Die Laune der Natur hat sich für Leon Windisch weitere körperliche „Kuriositäten“ ausgedacht: eine weiße Haarsträhne im sonst natürlich-schwarzen Haar sowie zwei verschiedenfarbige Augen: blau (von der Mama) links, braun (vom Papa) rechts. Was bei Huskys gang und gäbe ist, vereint weltweit nur ein Prozent der Weltbevölkerung unter dem medizinischen Fachbegriff Iris-Heterochromie. Darüber lächelt der ESV-Kicker mit seiner durch und durch ansteckenden Lebensfreude ebenfalls: „Ich bin halt durch und durch besonders, aber nicht anders.“

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