„Biathlon kann frustrierend sein“

von Redaktion

Marion Wiesensarter war viele Jahre im Biathlon aktiv. Eines Morgens wacht sie auf und beendet ihre Karriere – die von Privilegien, aber auch von Frust begleitet war. Im Interview gibt sie genauere Einblicke.

Surberg – Am Ostersonntag beendete Marion Wiesensarter ihre Karriere im Biathlon. 2019 debütierte die Athletin vom SV Oberteisendorf im Weltcup, wo ein elfter Platz in Antholz ihr bestes Resultat war. Für Aufsehen sorgte sie immer wieder im Sommer-Biathlon. Dort gewann sie acht Medaillen bei nationalen Meisterschaften und feierte bei der Sommer-WM 2023 ihre größten Erfolge. Bei den Titelkämpfen in Brezno-Osrblie gewann sie Bronze im Massenstart und holte Gold im Supersprint.

Wie ist das Leben in der Biathlon-Rente?

Es geht mir sehr gut. Noch habe ich etwas Zeit, bevor mein neuer beruflicher Lebensabschnitt beginnt. Daher genieße ich die aktuelle Phase sehr, mache viel Sport und profitiere von den Freiheiten, die ich so in den letzten Jahren als Profisportlerin nicht hatte.

Wie viel Leistungssportlerin steckt noch in Ihnen?

Ich war der festen Überzeugung, dass ich nach dem Ende meiner Profikarriere sehr schnell umschalten kann. Das ist mir noch nicht gelungen (lacht). Ich habe Gefallen am Trailrunning gefunden und bin auch schon Rennen gelaufen. Das bedarf natürlich einer entsprechenden Vorbereitung und dabei kommt die Profisportlerin noch durch.

Müssen Sie abtrainieren, oder ist das nur ein Mythos?

Da ich derzeit noch sehr viel Sport mache, habe ich in Absprache mit der Biathlon-Mannschaftsärztin Katharina Blume beschlossen, dass wir das wirkliche Abtrainieren in den Winter verschieben. Meine Umfänge sind zwar geringer als zur aktiven Zeit, aber ich werde noch klassisch abtrainieren. Manche Athleten machen das nicht, aber jeder Körper ist anders. Ich vertraue da voll auf die Meinung von Blume, die nicht nur viele Jahre meine Mannschaftsärztin war, sondern auch eine Freundin ist.

Was vermissen Sie von Ihrer Zeit als Profi?

Aktuell fehlt mir eigentlich wenig. Der tägliche Kontakt mit den Teamkolleginnen geht mir etwas ab. Jeden Tag mit guten Freundinnen den Beruf ausüben zu dürfen, war ein Privileg. Aber letztlich ist das wie im normalen Berufsleben auch. Über die vielen Jahre sind aus einigen Weggefährtinnen echte Freundinnen geworden, mit denen hält der Kontakt auch nach dem Karriereende.

Was fehlt Ihnen so gar nicht?

Ich träume manchmal noch von meinen Trainingsplänen und dem strikten Ablauf, den man als Profi hat. Dann wache ich mitten in der Nacht auf und bin total gestresst – obwohl es ja eigentlich keinen Grund mehr dafür gibt und ich das während der Karriere auch nicht so empfunden habe. Das zeigt mir, dass mir dieser Druck unterbewusst doch mehr zugesetzt hat, als ich es während der aktiven Zeit gemerkt habe. Und dann sind da noch einige bürokratische Strukturen, die mir definitiv nicht fehlen. Insbesondere die tägliche Dokumentation über den Aufenthaltsort für die Anti-Doping-Agenturen.

Sie haben im April Ihren Rücktritt vom Leistungssport verkündet. Was waren die Gründe?

Eigentlich wollte ich noch bis Olympia weitermachen, aber mit der Zeit ist die Entscheidung immer weiter gereift. Angefangen hat es mit privaten Problemen im letzten Sommer, die mir körperlich und mental zugesetzt haben. Im Winter bin ich gut in die Saison gestartet, war aber eigentlich schon am Limit. Entsprechend haben sich die Leistungen entwickelt und ich war unzufrieden mit mir. Ich habe mich immer mehr unter Druck gesetzt, habe mir bei einem Sturz noch eine Gehirnerschütterung zugezogen und bin immer mehr ins Grübeln gekommen. Ich habe ignoriert, dass ich mit der Gesamtsituation nicht mehr zufrieden war.

Wann ist die konkrete Entscheidung gefallen?

Eines Morgens bin ich aufgewacht und habe den Entschluss gefasst, dass ich aufhöre. Dann habe ich einige aktuelle und ehemalige Teamkolleginnen, die Trainer, meine Sponsoren und meinen Manager kontaktiert. Je mehr Telefonate ich geführt habe, desto mehr habe ich mich in meiner Entscheidung gestärkt gefühlt. In diesen Momenten ist viel Druck abgefallen.

Sind Sie glücklich mit der Entscheidung?

Ich habe sie bislang keinen Tag bereut. Im Idealfall hört man am Höhepunkt der Karriere auf. Das ist aber nur ganz wenigen Sportlern vergönnt. Biathlon war meine große Leidenschaft, der ich sehr viel untergeordnet habe. Aber letztlich muss jeder den richtigen Zeitpunkt für sich selbst finden und ich habe ihn für mich gefunden.

Wie blicken Sie auf Ihre aktive Zeit zurück?

Es war ein absolutes Privileg, diesen großartigen Sport auf diesem Niveau ausüben zu dürfen. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und gefühlt die halbe Welt bereist. Natürlich wäre ich gerne erfolgreicher gewesen, aber letztlich habe ich dem Biathlon viel zu verdanken.

Warum hat es nicht für ganz vorne gereicht?

Vielleicht war ich körperlich für Biathlon nicht so geschaffen, dass es für ganz vorne gereicht hat. Außerdem hatte ich nicht wirklich Glück mit dem Timing. In der Zeit, in der ich den Sprung in den Weltcup hätte schaffen können, war das Weltcupteam besetzt und ich habe nicht die Chance bekommen, mich über einen längeren Zeitraum etablieren zu können. Obwohl ich es leistungstechnisch, meiner Meinung nach, verdient gehabt hätte.

Was meinen Sie genau damit?

Ich spreche nicht von der absoluten Weltspitze, da war ich nie. Aber es gab bis zu meinem Karriereende eine große Gruppe, die auf ähnlichem Niveau war und zu der ich auch gehört habe. Dennoch wurde ich vergleichsweise wenig berücksichtigt. Das hat einerseits mit Glück zu tun, aber letztlich auch mit subjektiven Entscheidungen der Trainer. Am Ende kommt es im Leistungssport oft auf das richtige Timing an.

Dennoch sind Sie im Weltcup zum Einsatz gekommen, sind 2021 in Antholz im Einzel auf den elften Platz gelaufen…

Was einerseits der schönste, aber auch der schwierigste Moment meiner Karriere war. Die Rennen in Antholz waren kurz vor der WM in Pokljuka. Nach dem starken Einzel bin ich noch 19. im Massenstart geworden und eigentlich davon ausgegangen, dass ich mit zur WM fahren darf. Dass ich nicht nominiert wurde, hat mich hart getroffen und sehr lange beschäftigt.

Wie hoch ist die mentale Belastung, wenn man nicht im obersten Regal mitspielt?

Biathlon kann sehr frustrierend sein. Oft fehlen nur Kleinigkeiten und die richtigen Momente, um die nötigen Schritte zu gehen. Wenn diese dann nicht gelingen, kann es mühsam sein. Aber letztlich muss man auch die Strukturen beachten. Es gibt nur sechs Plätze im Weltcup, in anderen Sportarten ist da wesentlich mehr Spielraum.

Im Sommer waren Sie oft ganz vorne mit dabei. Wie erklären Sie sich diese Stärke?

Das ist mir bis heute ein großes Rätsel (lacht). Ich habe nie speziell für diese Events trainiert. Die Sommer-WM 23 haben Lisa Maria Spark und ich eigentlich als Trainingseinheit unter Wettkampfbedingungen mitnehmen wollen. Und plötzlich war ich Weltmeisterin im Super-Sprint. Vielleicht lag mir Sommer-Biathlon besser als anderen. Vielleicht war ich aber auch mental lockerer und bin unbeschwerter in die Rennen gegangen.

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