„Meine politische Arbeit begann, das Gesicht meiner Heimat zu verändern“

von Redaktion

Georg Kustermann (Grüne) war über 22 Jahre im Kolbermoorer Stadtrat, jetzt legt er sein Amt nieder

Kolbermoor – Georg Kustermann (Grüne) ist seit Herbst 1997 im Kolbermoorer Stadtrat. Der 57-Jährige hat vor rund 22 Jahren gesagt, dass eines seiner Ziele „der gesunde Menschenverstand darf nicht außer Acht bleiben“ ist. Diesen Rat gibt er auch den neuen Kollegen mit auf den Weg.

Nach so langer Zeit in
der Kommunalpolitik: Fällt Ihnen der Abschied schwer?

Natürlich kommt ein bisschen Wehmut auf, wenn man weiß, das ist jetzt die letzte Ausschusssitzung, der letzte Haushalt, der letzte Bebauungsplan. Aber grundsätzlich bin ich ein Mensch, der weiß und akzeptiert, dass unsere Lebensabschnitte endlich sind und frei nach Hermann Hesse muss man immer „bereit zum Abschied und zum Neubeginn“ sein. Und ich habe einfach noch wahnsinnig viele Pläne in meinem Leben und wollte nach 23 sehr spannenden Jahren in diesem Gremium einfach frei sein für neue Ziele.

Was waren aus Ihrer Sicht die prägendsten Entscheidungen in diesen Jahrzehnten?

Spontan steht da der April 2002 mit der dramatischen Entscheidung über die Zukunft des Spinnereigeländes über allem. Die Anterra AG, der damalige Besitzer, hatte Pläne vorgelegt, die den Abriss aller historischen Gebäude und Wohnbebauung vom Schneckenberg bis zur Brückenstraße vorsahen. Die Mehrheit von CSU und Republikanern unterstützte das. Doch dann wurde überraschend der Bebauungsplan mit nur einer Stimme Mehrheit abgelehnt und damit der Weg frei für das Areal in seiner heutigen Form. Ähnlich knapp war die Entscheidung im September 2006 bei der Standortfrage des neuen Kolbermoorer Rathauses. Die SPD wollte ein „Ratsobergeschoss“ im soeben renovierten historischen Spinnereigebäude, CSU und Grüne waren für einen Neubau am jetzigen Standort. Auch damals hat eine Stimme den Ausschlag gegeben, dass der Rathausplatz so aussieht wie wir ihn heute kennen.

Was hat Sie bewogen, das Amt so lange
auszuüben?

Trotz vieler frustrierender Momente, wenn meine Ideen an festgefahrenen Mehrheiten scheiterten, hatte ich doch immer das Gefühl, dass ich beizeiten Stadtratskollegen überzeugen und damit wirklich Einfluss auf Entscheidungen nehmen konnte.

Und dann sah ich nach und nach, wie meine politische Arbeit begann, das Gesicht meiner Heimat zu verändern. Das war letztendlich die Triebfeder, solange dabeizubleiben.

Was hat sich in der
kommunalpolitischen
Arbeit in dieser Zeit alles verändert?

Früher wurden Bebauungspläne noch an die Wand gepinnt, Sitzungsprotokolle in Papierform verschickt, das Sitzungsgeld im Umschlag bar verteilt.

Heute läuft das alles digital und wir haben ein passwortgeschütztes Ratsinformationssystem, wo man wichtige Pläne online einsehen kann. Politisch der Umstand, dass in meinen Anfangsjahren noch ziemlicher Fraktionszwang herrschte, während heute Mehrheiten nicht selten „querbeet“ durch verschiedene Parteien gefunden werden.

Was können Sie den neu im Stadtrat vertretenen Mitgliedern aus Ihrer Sicht heraus für eine
erfolgreiche Arbeit im Gremium mit auf den Weg geben?

In einem Interview der Stadtratsneulinge wurde ich 1998 von dieser Zeitung gefragt, was mein oberstes Ziel für die Stadtratsarbeit sei. Meine Antwort war damals „der gesunde Menschenverstand darf nicht außer Acht bleiben“. Das ist auch heute mein Rat an die neuen Stadträte: Gerade in der Kommunalpolitik kann man sich bei jeder Entscheidung unmittelbar vor Ort eine eigene Meinung bilden und sollte diese dann sachlich vertreten, egal ob es den Parteistatuten oder irgendwelchen Interessensgruppen passt.

Ach ja – noch etwas. Bitte nie von tollen Powerpoint-Präsentationen „sogenannter Fachleute“ blenden lassen. Die sind zwar bisweilen ganz gut, oft aber auch nur schöne Verpackungen mit wenig Inhalt. Deshalb immer hinterfragen. Letztlich kennt niemand die Heimatgemeinde und ihre Bedürfnisse so gut wie der Kolbermoorer Stadtrat selbst.

INTERVIEW: INES WEINZIERL

Artikel 3 von 7