Rosenheim/Kolbermoor – Die Haft ganz hinter sich lassen wird Anna Z. (Name von der Redaktion geändert) nicht können. Sie ist eine von sieben Frauen, die nach der Haftentlassung in der DIAdonna Wohngemeinschaft Kolbermoor der Rosenheimer Diakonie ein neues Zuhause gefunden haben. Zu Beginn des Gesprächs in dem kleinen Besprechungsraum der Wohngemeinschaft wird schnell klar, die 52-Jährige will nicht viel von sich preisgeben. Ihre Lebensgeschichte hat sie auf die Hälfte eines DIN-A4-Zettels geschrieben. Mehr als das dort Abgetippte will sie nicht verraten. Auf dem Blatt steht auch, dass sie wegen einer Medikamentenabhängigkeit in die Straffälligkeit gerutscht sei. Die Folge: eine mehrmonatige Haftstrafe in der JVA München.
Rettung vor der
Obdachlosigkeit
„Die Bestrafung ist in Ordnung, man weiß ja bei der Tatbegehung, dass man etwas Falsches macht. An die mentalen Folgen denken aber die wenigsten“, sagt die Frau, der es sichtlich unangenehm ist, über das mit vielen Vorurteilen behaftete Thema zu sprechen. Immer wieder rutscht sie auf ihrem Stuhl hin und her und nimmt sich vor den Antworten längere Pausen. „Das Gefängnis“, führt Anna Z. schließlich fort, „verändert einen, da passieren schon Sachen mit dir“. Welche Sachen das genau sind, darüber spricht sie nicht.
Stattdessen erzählt sie von dem Moment, als bei ihr während der Haftzeit ein Gehirntumor diagnostiziert wurde, der medizinisch behandelt werden musste. Zu dieser Zeit entstand auch der Kontakt zu den Sozialpädagoginnen von DIAdonna. „Wir nehmen bereits in den Haftanstalten Kontakt zu den Frauen auf und bieten ihnen unsere Hilfe an“, sagt Mara Homberg, Bereichsleitung der Diakonie. Das Angebot richte sich aber nicht nur an Frauen, die aus der Haft kommen, sondern auch an diejenigen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind.
In diese wäre womöglich auch Anna Z. geraten. „Wenn mich DIAdonna nicht aufgenommen hätte, wäre ich wahrscheinlich auf der Straße gelandet. Wer weiß, was da mit mir passiert wäre“, sagt die 52-Jährige. Letztlich sei sie froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Dazu gehört auch, dass sich die Bewohnerinnen in der Wohngemeinschaft miteinander arrangieren. „Es gibt die gleichen Probleme, wie liegengelassenes Geschirr oder Diskussionen um die Hygiene, wie in jeder anderen WG auch“, sagt Anna Z.. „Wir haben alle ‚special effects‘, da knallt es auch schon mal.“ Im Großen und Ganzen würde das Zusammenleben aber klappen. „Vorausgesetzt du hörst dir die Geschichte des anderen an und urteilst nicht schon vorher“, führt Anna Z. fort.
Mittlerweile dauert das Gespräch fast eine Stunde. Die anfängliche Anspannung ist einer fast schon lockeren Stimmung gewichen. Die 52-Jährige kommt nun doch ein wenig mehr ins Erzählen.
Im Mittelpunkt ihrer Erzählungen bleibt: das Leben im Gefängnis. „Das ist ein Mikrokosmos“, sagt sie. Man würde sich gedanklich eine Parallelwelt erschaffen, um die harte Realität ein wenig verdrängen zu können. „Das rettet einen“, beschreibt die Frau die Situation.
Konfrontation
mit der Realität
„Nach der Entlassung musst du dich daran gewöhnen, dass die Welt nicht so ist, wie du sie dir erträumt hast“, sagt Anna Z, „das erschlägt dich fast“. Deshalb sei es gut, dass es Einrichtungen wie DIAdonna gibt, die sie in der Zeit nach der Entlassung unterstützen. Das „Gefühl der Freiheit“ habe sie das erste Mal so richtig im Bus sitzend realisiert. „Ich konnte hinfahren, wo ich wollte, sofern der Bus in Kolbermoor mal pünktlich fährt“, sagt Anna Z. und lacht.
Die meisten Frauen würden sich schnell wieder zurechtfinden, sagt Homberg. So auch Anna Z, der es gesundheitlich wieder gut geht. „Freiheit bringt Verantwortung mit sich, der muss man nachkommen“, sagt sie.
Nur die Angst vor den Vorurteilen wird vermutlich nie ganz verschwinden.