Vorlesen ist eine wahre Superkraft: Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, sind häufig wortgewandt, konzentriert, neuen Inhalten gegenüber aufgeschlossen, empathisch, sensibel und fantasievoll. Ihnen fällt das spätere Lesenlernen leicht und sie haben bessere Noten – nicht nur in Deutsch, sondern auch in Mathe, Sachkunde, Kunst und Musik. Vorgelesene Geschichten eröffnen unbekannte Welten und Perspektiven – im eigenen Kopf, aber auch für individuelle Bildungs- und Berufschancen, Persönlichkeitsentwicklung und soziale Beziehungen.
Doch dieses große Potenzial wird in Deutschland nicht voll ausgeschöpft. Laut der Vorlesestudie 2019 von Stiftung Lesen, DIE ZEIT und Deutsche Bahn Stiftung lesen 32 Prozent der Eltern von zwei- bis achtjährigen Kindern nicht oder zu selten vor. Die Folge für die betroffenen Kinder sind ungleiche Startvoraussetzungen, die spätestens zum Schulbeginn sichtbar werden – also genau dann, wenn Neugier, Konzentration und Lust am (Lesen-)Lernen gefragt sind. Ohne sofortige Förderung bleibt dieser Nachteil ein ständiger Begleiter. Die Konsequenzen für den Übergang in die weiterführende Schule sind gravierend: Sie können dem Unterricht nicht folgen, haben Schwierigkeiten Aufgaben zu lösen und Zusammenhänge zu erkennen. Schon früh werden hier Weichen gestellt, die sich mit fortschreitendem Alter immer schlechter verändern lassen.
Was kann man tun, um junge Familien frühzeitig fürs Vorlesen zu begeistern? Sie zu motivieren, zu inspirieren und ihren Kindern gute Lern- und Lebensperspektiven zu eröffnen? Eine Antwort auf diese Fragen lautet: (Vor)Lesen sollte selbstverständlicher Teil des Familienalltags sein. Um das zu ermöglichen, hat die Stiftung Lesen Programme wie „Lesestart 1–2–3“ (Infokasten) oder www.einfachvorlesen.de initiiert.
Eine weitere Antwort hat die Stiftung Lesen nach der diesjährigen Frankfurter Buchmesse formuliert. Sie hat Bundes- und Landesregierungen, Kommunen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, Gewerkschaften, Interessensvertretungen von Eltern, pädagogische Fachkräfte, Bibliotheken, Verlage, Medienhäuser, den Buchhandel, Kinderärzte, Sozialverbände und Kirchen zu einem Nationalen Lesepakt eingeladen. Das zentrale Anliegen dieses Lesepakts ist es, eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung zu definieren und in die Tat umzusetzen.