„Sei still! Sitz gerade! Sei brav! Stell dich nicht so an!“ Alice (Anna Graenzer) kann die Ermahnungen der Erwachsenen nicht mehr hören. Als ihr das ständig der Zeit hinterherhoppelnde weiße Kaninchen (Mara Widmann) begegnet, springt sie ihm nach und landet durch eine Metallröhre und einen parallel dazu als rasante Videoprojektion dargestellten Tunnel im verrückten Reich der Herzkönigin (Barbara Melzl). Hier ist alles „andersrum“ – es wird gelacht und geschrien, gerülpst und gepupst, geschrumpft und gewachsen, hier tanzen Austern ein Ballett, bevor sie vom Walross (Arnulf Schumacher) und vom Zimmermann (wieder Mara Widmann) genüsslich verspeist werden, hier werden Kaffeekränzchen vom Hutmacher (Till Firit) und dem Mäusemann (Tim Werths) in Dauerschleifen wiederholt und Fragen gestellt, auf die es keine Antworten gibt. Denn, so der Hutmacher klug: „Dir Fragen zu stellen, auf die ich die Antwort schon weiß, ist völlig sinnlos. Da kann ich ja gleich in die Schule gehen.“
Lewis Carrolls Klassiker „Alice im Wunderland“ birgt so viele skurrile Charaktere und schräge Szenerien, dass sich die Bühnenbildnerin Franziska Rast und die Kostümbildnerin Marysol del Castillo gemeinsam mit ihren Werkstätten ganz offensichtlich so richtig austoben konnten. Da schweben große und kleine Türen von der Decke, da rahmen Hänger im Schachbrettmuster die Bühne ein und der Königsthron wird als Plumpsklo dargestellt. Menschen in Hummerkrabben- und Siebenschläferkostümen tanzen ebenso über das Parkett wie drei edel gestylte Blumen, die Krone der Herzkönigin wird durch ein riesiges Herz aus rotem Haar ersetzt.
Doch Regisseurin Christina Rast will dem Ganzen mit ihrer Version von dem Stück „Alice im Wunderland“, die sie zusammen mit Götz Leineweber erarbeitet und mit Musik von Felix Müller-Wrobel herrlich lebendig aufpoliert hat, noch einen drauf setzen. Zumindest im ersten Teil dürfen ihre Darsteller in rasantem Tempo von einer Figur in die nächste schlüpfen. Das gipfelt vor allem bei den Zwillingen Diedeldum (Arthur Klemt) und Diedeldei (Wolfram Rupperti), den eigentlichen Stars des Abends, in herrlichstem Slapstick und wird von vier Live-Musikern mitreißend untermalt. Und mitten in diesem Tumult steht Alice, das widerborstige kleine Mädchen, das mutig Kontra gibt, auf Töpfen trommelt und laut singt, die Frage aber, wer sie wirklich ist, nicht beantworten kann.
Leider verlangsamt sich dieses Tempo ausgerechnet am Höhepunkt. Die Begegnung mit der gefürchteten Herzkönigin, die keinerlei Widerspruch duldet und schon beim kleinsten Protest Köpfe abhackt, zieht sich nicht nur etwas zu sehr in die Länge, sie verliert auch von ihrem schrägen Charme. Den Henker (Arnulf Schumacher) mit einer blutüberströmten Schlachterschürze und einem überdimensionalen Messer auszustatten, mit dem er dann tatsächlich den Kopf einer Spielkartenfigur über die Bühne kullern lässt, schockt – zumindest manchen Erwachsenen. Die kleinen Zuschauer allerdings verzeihen der Herzkönigin und somit auch der Regisseurin diese Tat, denn letztlich gewinnt die trotzige Alice, die irgendwann erstaunt erwacht aus ihrem Traum, in dem sich die Welt andersherum gedreht und das Publikum zum Teil dieses Traumes gemacht hat. „Oder“, fragt Alice am Schluss, um zu klären, wer sie ist, „bin ich nicht vielmehr Teil von Eurem Traum?“ Das junge Publikum bejaht mit großem Jubel.
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am 14., 21., 23., 26.11., unterschiedliche Anfangszeiten!; Karten: 089/ 21 85 19 40.