Enoch zu Guttenberg ist ein Nostalgiker: Der adelige Dirigent zeigt sich einer Musikkultur verpflichtet, die Otto Schily in der festlich und gut gefüllten Münchner Philharmonie am Gasteig in einem flammenden Grußwort beschwört. „Metaphysisch“ sei die Klangkunst und mit Robert Schumann „ein Licht in der Tiefe des menschlichen Herzens“. Anlass der Lobeshymne des Bundesinnenministers a. D. ist die Chorgemeinschaft Neubeuern, die zu Guttenberg vor 50 Jahren gründete und deren Sängerinnen in schwarz-violetten Edel-Dirndl neben befrackten Sängern die Bühne betreten. Davor postiert ist das Orchester der KlangVerwaltung, das mit seinem 20. Jahrestag das Jubiläumskonzert zu einem doppelten Festakt macht.
Die Programmauswahl ist idealtypisch, denn Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ besingt in leuchtenden Farben den hoffnungsvollen Glauben an Gott, den Menschen und die Musik. „Und es ward Licht“ strahlt der berühmteste C-Dur-Akkord der Musikgeschichte am Ende der einleitenden „Vorstellung des Chaos“. Enoch zu Guttenberg versteht es, diesen frühen Höhepunkt effekt- wie affektvoll zu inszenieren. Auch in der Folge gestaltet er Haydns klangfarbiges Bilderbuch mit feinem Ohr und Gefühl. Blind folgen die Musiker ihrem Dirigenten in jahrzehntelang erprobtem Zusammenspiel, gemeinsam vollziehen sie den Schöpfungsakt in klingenden Sphären. Elemente und Gezeiten, Pflanzen und Tiere werden in einem kunstreligiösen Akt erzeugt; glitzernd erstrahlt die Sonne, und sanft schimmernd beleuchtet der Mond die Krone der Schöpfung, welche in dicht frohlockenden Chorpassagen jubilierend besungen wird: der Mensch.
Mit Noblesse reproduziert diese emotionalisierte Interpretation von Joseph Haydns Oratorium den Lobpreis der Schöpfung, doch zelebriert zu Guttenbergs Dirigat den kunstreligiösen Gottesdienst ohne Fragezeichen und ohne den Kontext der aktuellen Welt- und Glaubensfragen. Für eine reizvolle Brechung sorgen daher die exzellenten Solisten des Jubiläumskonzerts. Durchschlagkräftig und präsent agiert der Bassist Günther Groissböck als Raphael, flankiert vom zärtlich jubilierenden Sopran Sibylla Rubens’ (Gabriel), während der agile wie feinsinnige Tenor Daniel Johannsen als luftiger Uriel Glanzpunkte setzt. Ihre fein abgestimmten Terzette werden zu Höhepunkten des Schöpfungsaktes.
Im dritten Teil des Oratoriums von Joseph Haydn besingen der Bassist Krežimir Stražanac als Adam und die Sopranistin Lydia Teuscher als Eva das Paradies elegant und nicht ohne feine Ironie gegenüber der schön gezeichneten Utopie eines Himmels auf Erden und heben das Oratorium damit in die Gegenwart: Der Glaube an das Gute in der Welt hat ein paar Risse erhalten.