neuerscheinung

Es wird frostig

von Redaktion

In Juli Zehs Roman „Leere Herzen“ entspringt Terror nicht mehr Fanatismus, sondern ist ein Geschäftsmodell

von Marcus Mäckler

Spüren Sie es auch, dieses nervöse Zittern? In unserer Gesellschaft tut sich was, nicht erst, seit die AfD im Bundestag sitzt, aber spätestens seitdem. Man darf Zweifel daran haben, ob das, was sich da tut, gut ist. Immerhin: Für die Literatur öffnet sich nach Jahren der piepsigen Selbstbeschau ein Raum, in dem wieder große Zukunftsfragen verhandelt werden können. Wie wird das sein in, sagen wir, acht Jahren? Haben wir dann alle „Leere Herzen“?

Juli Zeh hat ihrem neuen, 350 Seiten starken Roman diesen Titel gegeben. Er deutet schon darauf hin, wie sich eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Deutschlands die nahe Zukunft vorstellt: eher frostig als warm, eher düster als hell.

In Zehs Deutschland anno 2025 hat die Besorgte-Bürger-Bewegung (BBB) die Macht übernommen und schafft mit ihren dubiosen „Effizienzpaketen“ schleichend die Demokratie ab. Es gibt eine „Bundeszentrale für Leitkultur“, das muslimische Leben ist auf dem Rückzug. Und unter den Menschen haben sich Prinzipienlosigkeit und Gleichgültigkeit breitgemacht. Politik wird hingenommen, sie ist „wie das Wetter: Sie findet statt, ganz egal, ob man zusieht oder nicht, und nur Idioten beschweren sich darüber“.

In dieser trüben Zukunftssuppe schwimmt Hauptfigur Britta, die den vielsagenden Nachnamen Söldner trägt. Sie hat Mann und Tochter, lebt in Braunschweig und ist ähnlich durchschnittlich wie die Stadt selbst. Allerdings ist sie mit ihrer Firma „Brücke“ reich geworden, deren Geschäftsmodell auf schaurige Weise plausibel ist: Britta behandelt Selbstmordkandidaten mit einem 13-Stufen-Modell. Wer zwischendrin abspringt, gilt als geheilt. Wer die 13. Stufe erreicht, wird als Attentäter an Umweltorganisationen oder den IS vermittelt. Terror ist kein Fanatismus mehr – sondern ein Geschäftsmodell.

Die Idee hat durchaus ihren Reiz, denn sie kommt nicht aus dem Nichts. Zeh tut, was schon andere Autoren vor ihr taten: Sie verlängert Entwicklungen der Gegenwart in die nahe Zukunft und bastelt daraus eine kühle Dystopie. Nicht, dass das Buch einen seherischen Anspruch hätte. Es ist genauso wenig eine Vorhersage wie Michel Houellebecqs „Unterwerfung“. Stattdessen hält es dem Leser den Spiegel vor nach dem Motto: Schaut, was passiert, wenn das alles so weitergeht.

Zeh wird oft als moderne Vertreterin engagierter Literatur bezeichnet – auch ihrem neuen Roman merkt man das an. Irgendwann zu Beginn blickt die Erzählerin fast nostalgisch in die Zeit vor der „BBB“ zurück: „Deutschland“, heißt es da, „war das glücklichste Land der Welt, ohne das auch nur im Ansatz selbst zu merken.“

Ja, stimmt, weiter so! Aber statt das Porträt einer Anti-Gesellschaft zu entwerfen, an dem sich der Leser reiben könnte, statt tief in ihre fast entmenschten Figuren hineinzuhören, rutscht Zeh stur auf der Oberfläche des Geschehens herum. Protagonistin Britta bleibt bis zum Schluss eine Fremde, und die junge, schöne Julietta, die mit dem Wunsch zu Britta kommt, sich für die Ökoterroristen von „Green Power“ in die Luft zu sprengen, bleibt die pubertäre Karikatur einer Verzweifelten.

Statt also die Dystopie weiterzuspinnen, wechselt Zeh irgendwann das Genre: zum Thriller. Dubiose Gestalten, die Britta verfolgen. Eine neue Organisation (die „Leeren Herzen“), die der „Brücke“ Konkurrenz macht. Ein Mord. Das Ganze liest sich zeitweise immerhin recht spannend – und dann wieder wie ein neues Abenteuer der „Drei ???“.

Bis zum Schluss findet Zeh keine Form für ihr anspruchsvolles Projekt, inhaltlich nicht, sprachlich nicht. Hauptsatz wird an Hauptsatz geklatscht und ein bisschen schräge Poesie gibt’s nur, wenn es um die Beschreibung des Überflüssigen geht. „Seit einigen Tagen besitzt die Sonne heftige Kraft…“, heißt es gleich am Anfang. Schade, aber „Leere Herzen“ besitzt diese Kraft nicht.

Juli Zeh:

„Leere Herzen“. Luchterhand Verlag, München; 352 Seiten; 20 Euro.

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