Einst war dieses Stück mit daran schuld, dass Nikolaus Harnoncourt seinen gesicherten Cello-Job bei den Wiener Symphonikern aufgab. Wolfgang Amadeus Mozarts 40. Symphonie als angenehmes Moll-Gedudel zum Mitsummen – nicht zum Aushalten und eine totale Verkennung der kompositorischen Substanz. Allgemeine Übereinstimmung herrscht inzwischen darüber, dass der späte Amadé hier Hörer und Orchester von einem schwarzen Loch zum nächsten taumeln lässt. Doch wenn es wirklich mal so gespielt wird, ist die Verblüffung groß: Vor diesem Hintergrund ist das, was Constantinos Carydis mit dem Salzburger Mozarteumorchester im Münchner Gasteig anstellt, ein Einlösen und Weitertreiben Harnoncourt’scher Forderungen.
Carydis, der immer etwas verschüchtert wirkende, trotzdem unerbittliche Dirigent, hat Ähnliches gerade im Nationaltheater mit „Le nozze di Figaro“ vorgeführt. Historisierende Spielpraxis ist nur die Basis: Was aus der 40. und vor der Pause, naturgemäß etwas weniger, aus der 34. Symphonie spricht, ist Unbedingtes, tief Verstörendes. Eine radikal gute Deutung, deren Überraschungsangriffe – anders als bei manchem Kollegen – stets vollkommen logisch und motiviert sind. Fast alle Wiederholungen lässt Carydis spielen, und jedes Mal entdeckt er im Da capo neue dynamische und agogische Lösungen. Vor nichts ist man als Hörer hier sicher. Um Dramatik geht es dabei, aber noch um viel mehr – um Existenzielles.
Auch Mozarts Sinfonia concertante KV 364 atmet diesen Geist. Dass zwei charakterlich verschiedene Solisten am Werk sind, kommt der Sache nur zugute: hier der verspielte, risikolustige Nils Mönkemeyer (Viola), dort Arabella Steinbacher (Violine) als „vernünftiger“, wohlerzogener, dennoch delikater Gegenpart. Ergebnis ist ein wortloses Mozart-Duett, das von Orchester und Carydis noch angestachelt wird. Im kommenden Jahr betrauen ihn die Salzburger Festspiele mit der „Zauberflöte“. Eine Überraschung ist das weniger. Dorthin, neben Franz Welser-Möst, Mariss Jansons und William Christie, gehört Carydis längst. Markus Thiel