Eigentlich hätte Wiebke Puls alles, was eine Diva braucht: Sie ist nicht nur eine großartige Schauspielerin, sondern auch eine imponierende Erscheinung. Aber im wirklichen Leben hat die Künstlerin, die schon lange zum Ensemble der Münchner Kammerspiele gehört, überhaupt nichts Divenhaftes. Dass die norddeutsche Pastorentochter ein ungeheuer ernsthafter, nachdenklicher Mensch ist, zeigt sich auch im Gespräch über Brechts „Trommeln in der Nacht“, wo sie in der Rolle der Mutter zu sehen sein wird. Das Stück hat morgen in der Regie von Christopher Rüping an den Kammerspielen Premiere.
-Ist dieses Frühwerk Brechts noch zeitgemäß?
Ich glaube, das Stück passt sehr gut in unsere Zeit, weil es die Frage stellt, ob wir uns ins Private zurückziehen oder aber in irgendeiner Form politisch agieren wollen. Bei Brecht ist dieses Agieren eine Revolution. Ich fürchte, davon sind wir hier noch weit entfernt, weil unsere Komfortzone noch zu gut funktioniert. Man braucht wohl eine Mehrzahl der Leidenden, um eine entscheidende Bewegung erwarten zu können. Noch ziehen wir uns mehrheitlich ins Private zurück und hüten argwöhnisch unsere Schätze.
-Ähnlich wie der Held im Stück…
Der Heimkehrer Kragler hat bereits sehr viel geopfert und außer seiner Liebe nichts mehr zu verlieren. Seine Sehnsucht nach Geborgenheit steht vor einem anderen Hintergrund, dem der Kriegserfahrung. Das kennt unsere Generation der Deutschen nur aus Erzählungen und Geschichtsbüchern – und aus den aktuellen Nachrichten von der europäischen Grenze. Brecht hat die „Trommeln“ als junger Mann geschrieben, aber sein ganzes Leben lang gehadert mit dieser Version – und später vergebens versucht, ein anderes Ende zu finden. Regisseur Christopher Rüping nimmt das auf und inszeniert nun das Ende in zwei Varianten: die von Brecht, und eine „nach Brecht“, wo sich der Protagonist für die politische Aktion entscheidet. Das werden wir abwechselnd spielen, wenn auch nicht am selben Abend. Der Zuschauer hat dann im Hinterkopf, dass es noch die andere Option gibt.
-Welcher von beiden neigen Sie zu?
Ich bin, wie wahrscheinlich viele, die noch keine existenzielle Not erleiden mussten, hin- und hergerissen. Die Mehrheit von uns hat Grund, zufrieden zu sein, und da bin ich immer für Großzügigkeit, Offenherzigkeit und fürs Teilen. Gleichzeitig denke ich darüber nach, welchen Luxus ich mir noch gestatten kann und dass das Leben für meine Kinder so geschützt und vorzüglich wie möglich sein soll. Das ist unser Dilemma: Wir geben uns liberal, weltoffen und sozial – aber nur solange uns niemand durch die Blumenbeete läuft, bildlich gesprochen.
-Das ist ja fast wie in der griechischen Tragödie, wo die Helden unausweichlich schuldig werden.
Das ist eine leider zu schmeichelhafte Beschreibung dieses Luxusproblems. Wir sind keine Helden. Tatsächlich fehlt es uns in einer globalisierten Welt, in Europa, ja schon in Deutschland an der Bereitschaft, die Menschheit als Gesamtheit zu verstehen. Abgesehen von diesem Mangel an Empathie, haben Sie und auch Rüpings Fragestellung Recht. Denn egal, wie man sich entscheidet, es bleibt immer etwas auf der Strecke, was uns wichtig ist: Die Entscheidung für die Revolution bedeutet, dass Privates geopfert wird, das jedem zu gönnen ist, nämlich die Geborgenheit, die der Mensch braucht. Die Entscheidung fürs Private hingegen bedeutet, dass sich die politische Aktion zerschlägt und die herrschenden Verhältnisse bestehen bleiben. Insofern gibt es kein befriedigendes Ende.
-Kann das Theater politisch was verändern?
Das ist ein bekanntes Manko des Theaters, dass es die Leute, die es erreichen will, kaum erreicht. Irgendwer hat mir kürzlich gesagt, nur sieben Prozent der Bevölkerung gingen ins Theater. Das ist ernüchternd. Für mich ist das Theater ein Spiegel der Welt. Aber offenbar schaut nur eine kleine und willige Klientel Gleichgesinnter in diesen Spiegel: Theater ist eine riesige Affirmation. Dabei geben wir uns Mühe, neue Räume zu öffnen, neue Zuschauer zu erreichen. Wir dürfen es im Grunde nicht in Zweifel ziehen, dass Theater gesellschaftlich wirken kann. Es ist immer noch ein Ort, der die Zuschauer zu einem gemeinsamen Nachdenken und Nachvollziehen anregt. Von solchen Orten, die Menschen dazu bringen, ihr Gehirn und ihre Herzen zu bemühen, können wir nie genug haben.
Das Gespräch führte Alexander Altmann.
Premiere
ist morgen, 19.30 Uhr; Restkarten unter 089/ 23 39 66 00 und an der Abendkasse.