Romantik vom anderen Stern

von Redaktion

Münchner Kammerspiele zeigen „Trommeln in der Nacht“

Von Alexander Altmann

Da hängen sie also tatsächlich in den Kammerspielen: handgemalte Plakate mit der Aufschrift „Glotzt nicht so romantisch!“. Genau wie damals, 1922, als Brechts Frühwerk „Trommeln in der Nacht“ am gleichen Haus seine Uraufführung erlebte – und der Dichter seinen Durchbruch. Diese historische Hypothek kann man kaum übergehen, zumal sie selbst automatisch eine Romantisierung des Stücks und der heroischen Münchner Theatervergangenheit darstellt. Also genau das, was Brecht nicht wollte.

Folglich packt Christopher Rüping, Hausregisseur der Kammerspiele, den Stier bei den Hörnern und macht diese Historie zum Thema seiner Neuinszenierung dieser „Komödie“: Der erste Akt geriert sich als etwas steife Rekonstruktion der Uraufführung, weshalb das Bühnenbild (Jonathan Mertz) am einzigen Foto von damals orientiert ist. Im Vordergrund bilden niedrige Sperrholzwände eine miefige Bürgerstube mit Anrichte und Grammophon. Hier taucht der totgeglaubte Kriegsheimkehrer Kragler (Christian Löber als traumatisiertes Fragezeichen) auf und findet seine Geliebte (wunderbar eindringlich Wiebke Mollenhauer) als Verlobte des Kriegsgewinnlers Murk (Nils Kahnwald). Dahinter ragen hohe graue Kulissen auf, die naiv gemalte Hochhäuser der Großstadt andeuten, wo Kragler die Revolution anzetteln wird, und in der Mitte schwebt ein roter Mond aus Pappe.

Auch die Schauspieler pendeln ihre Figuren zwischen rudimentärem Realismus und neusachlicher Deklamation ein, wobei am lebendigsten noch Annas Vater wirkt (Hannes Hellmann als nüchterner Fabrikant). Aber allmählich wird die museale Vorführung kontaminiert. Nicht durch Ironie, sondern durch Illusionsbrüche, etwa wenn die Akteure kurzzeitig stumm spielen, während dazu aus den Lautsprechern eine schwer verständliche historische Aufnahme krächzt.

Die wichtigste Funktion in Sachen Entromantisierung hat allerdings Damian Rebgetz, der die Figur des Journalisten Babusch in einen Conférencier oder Spielmacher verwandelt. Halb Clown, halb Mephisto kommentiert er in seinem ulkigen australischen Akzent nicht nur das Geschehen, er sorgt auch mit einer nostalgischen Jukebox und als Sänger dafür, dass Stimmung in die Bude kommt. Dadurch wird die peinliche Szene, in der Kragler und Murk aufeinandertreffen und Annas Mutter (treudeutsch-komisch: Wiebke Puls) sich mit Kirschwasser besäuft, in eine witzige Groteske übersteuert, ohne dass die Tragik des Kriegsheimkehrer-Schicksals überdeckt wäre.

Vollends von der historischen Reminiszenz gelöst und gegen den Strich gebürstet ist der vierte Akt. Aber gerade diese überraschende Verweigerung aller Brecht-Konventionen verleiht den Szenen eine wunderbar spröde Poesie. Schon das Setting konterkariert hier die Vorstellung der schäbigen Schnapsdestille, wo Kragler die Underdogs aufwiegelt: Statt in eine Spelunke fühlt man sich ins Raumschiff versetzt, wenn technoide Lichtsäulen auf die Bühne herabschweben. Und statt schäbiger Säufer treten Wesen vom anderen Stern auf, Zukunftsmenschen, die einem Science-Fiction-Film entsprungen scheinen in ihren halb durchsichtigen Kunststoff-Anzügen. Klar, dass diese Raumfahrer den Text nicht „spielen“, aber allmählich steigert sich ihre unbeteiligte Rezitation in ein richtiges Sprech-Oratorium hinein, das von Rebgetz dirigiert und mit Keyboard-Klängen untermalt wird. Und plötzlich ist alles große Oper, von hinten wallt im Gegenlicht Nebel, und der Zuschauer glotzt, wenn schon nicht romantisch, so doch verblüfft angesichts dieses Einbruchs lupenreiner Romantik.

Die scheinbar sakrilegische Ästhetisierung Brechts öffnet jedenfalls einen neuen Blick auf den Grundkonflikt des Stücks: Dass der Spartakist Kragler seine Abkehr von der Revolution als Entscheidung „gegen die Idee“ bezeichnet, wirft die Frage auf, ob Revolutionen idealistisch sind. Und seine Entscheidung für das Bett der Geliebten wäre als materialistische dann der eigentlich politische Akt. Aber: Es ist ja alles nur Spiel. Denn schon werden Kulissen und Pappmond von Bühnenarbeitern zu Kleinholz zerlegt und in einem Häcksler mit ohrenbetäubendem Krach zu Sägemehl verarbeitet. Langer Beifall.

Weitere Vorstellungen

an diesem Sonntag,

26. Dezember und 12. Januar; Telefon 089/  23 39 66 00.

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