Anno ’68 wär’ das nicht passiert, dass sich alle so brav ans Rauchverbot halten. Damals war es ein antiautoritärer Akt, beim Teach-in im Hörsaal zu qualmen, was das Zeug hält. Aber wir spießigen Mülltrenner von heute sind eben lammfromme Untertanen, die rauchfrei rumsitzen, wenn in den Münchner Kammerspielen eine Apo-Jubiläumsrevue über die Bühne knattert – und durchs Parkett, das vom „raumlabor berlin“ teilweise zur Sit-in-Fläche entstuhlt wurde. An dem Theater also, wo vor 50 Jahren eine Spendensammlung für den Vietcong großen Krawall verursachte, findet ein halbes Jahrhundert später die lustige Achtundsechziger-Gedenk-Sause im Stil eines Kindergeburtstags mit Topfschlagen und Sackhüpfen statt.
Dafür braucht man: einen Knabenchor, Elfriede Jelinek mit einer stummen Videolesung, eine Drohne, die über dem Publikum kreist, und vor allem Kissen. Viele große, weiße Plastikkissen, die prall mit Luft gefüllt sind und sich für alles eignen. Für Kissenschlachten, als Projektionsfläche für Filme und als Panzer-Attrappen – zur putzig-schaurigen Erinnerung an zwei Ereignisse von 1968: das Niederwalzen des Prager Frühlings und das Massaker, das die mexikanische Regierung zehn Tage vor den Olympischen Spielen in Mexiko an protestierenden Studenten verübte.
„1968. Eine Besetzung der Kammerspiele“ heißt dieses Spektakel, bei dem sieben freie Theatergruppen jeweils eine Viertelstunde Zeit haben, ihre Sicht auf ’68 vorzustellen. Nach dem, was – überwiegend – dabei herausgekommen ist, hätte man den Abend auch „Paraphrasen eines Klischees“ nennen können; wobei es ja gar nicht immer ein Nachteil sein muss, dass Witz, Ironie und auch Albernheit den Blick der jüngeren Generation von heute auf den Zeitgeist von damals dominieren.
Erst mal schlurfen also zwei Langhaarige in altmodischen Jeans und mit Öko-Stoffbeutel rein, um im Gespräch mit einem Zuschauer das Selbsterfahrungsgruppen-Geschwurbel und den Psycho-Jargon zu parodieren, die ja eher als Spätfolge oder sprachlicher Kollateralschaden von ’68 anzusehen sind. Dann zieht ein Schwarzafrikaner einen Berg besagter Kissen aus dem Parkett auf die Bühne, in Erinnerung an die kolonialistische Ausbeutung der Dritten Welt, die 1968 eben auch „irgendwie“ Thema war. Darauf folgt mit einer Art Kurzoper der künstlerisch ambitionierteste Teil des Abends, eine schön verfremdende Klang-Text-Collage mit Klaviermusik und Rudi-Dutschke-O-Ton.
Aber schon schweben vier wilde Weiber in schrillbunten Outfits und mit blinkenden Brüsten vom Schnürboden herab, die nach eigenem Bekunden „hier für die feministische Position gebucht“ sind. Ob das, was sie dann performen, eine gewollte oder doch eher unfreiwillige Parodie auf den Feminismus ist, wissen sie womöglich selbst nicht genau. Aber es sorgt auf jeden Fall für eine Mordsgaudi, wenn sie eine Lostrommel drehen, aus der dann wie Lottozahlen „feministische Zukunftsversprechen“ gezogen werden. Um es im Apo-Stil zu formulieren: Besser als in dieser Kopie affirmativer Fernseh-Spielshows kann man kaum darstellen, wie emanzipatorische Ansätze von der Spaßgesellschaft zum läppischen Wunschkonzert verflacht, in den Verblendungszusammenhang integriert wurden und als ablenkende Massenunterhaltung jenen repressiven Strukturen dienstbar gemacht sind, gegen die sie einst antraten.
Aber keine Angst, es bleibt alles ganz easy, denn für Partystimmung sorgt dann am Schluss das französische Collectif Catastrophe mit einer Art Reminiszenz an die Spaßfraktion der Achtundsechziger: in silbrige Astronautenanzüge gekleidet, mixt diese fulminante Musiktruppe zirzensische André-Heller-Ästhetik und herrlich anarchische Statements, in denen sie etwa „das Recht, keine Meinung zu haben“ einfordert. Bravo! Denn eben dieses Recht möchte man als Kritiker an solchen Theaterabenden auch mal haben. Fröhlicher Jubel.
Vorstellungen
nur bis einschließlich März, nächste Vorstellungen am 11., 12., 17., 18. Februar; Telefon 089/ 23 39 66 00.