Die Amazone trifft

von Redaktion

Das Münchner Museum Villa Stuck wird 50 und erzählt mit einer vielseitigen Schau vom Schicksal des Hauses

Von Simone Dattenberger Fotos: Marcus Schlaf

Weg ist sie – die Amazone vor der Villa Stuck. Sie ist in unserer Wahrnehmung so verschmolzen mit Franz von Stucks Münchner Wohnsitz, dass wir ihr Verschwinden nicht bemerkt haben. Die Kämpferin ist nach innen gewandert – in Stucks Neues Atelier. Dort bildet sie das Zentrum der Ausstellung mit dem rätselhaften Titel „Betreff: Schicksal Villa Stuck – Das Neue Atelier Franz von Stucks“. Die Amazone – ihre große Version – war nämlich der Grund, warum der Bayer (1863-1928) das Gebäude an seine Villa anbaute. Das Alte Atelier ist doch eigentlich prunkvoll repräsentativ.

Die Kriegerin zu Pferd war seinerzeit als Statuette (1897) so beliebt, dass man sie 1912 in Köln als imposante Skulptur besitzen wollte. Da Stuck keinen passenden Arbeitsraum hatte, musste er das Gipsmodell in der Kunstakademie – er war dort Professor – anfertigen. In der Hoffnung auf ähnliche Aufträge realisierte er ein topmodernes Atelierhaus. Auf dem Grundriss von 18 auf 18 Metern erhoben sich über dem Keller mit feuchtem Tonloch und Fotoatelier die Bildhauerwerkstatt und darüber in einem sieben Meter hohen Kuppelsaal das Maleratelier. Die Zeitgenossen waren hingerissen – der Bau war freilich im Sommer 1914 begonnen worden. Der Weltkrieg ließ Bildhauerträume nicht mehr zu.

Stuck, der sich in seinen Gemälden oft mit roher Gewalt auseinandergesetzt hatte, zeigt 1916 in der Figur „Feinde ringsumher“ (Zitat von Wilhelm II.) nur einen schwachen Reflex auf das Gemetzel. Der nackte Kämpfer, der mit beiden Händen das Schwert auf Kopfhöhe um sich kreisen lässt, ist einerseits Flucht in die Schönheit des menschlichen Körpers und andererseits in die Kunst der Plastik. Zum Dritten  formt  die Statuette des Kriegers bereits die Prophetie, dass er niemals wird siegen können. Eine Bronze- und zwei patinierte Gips-Versionen hat Kuratorin Margot Brandlhuber  mit der Amazone kombiniert.

Die Leiterin der Sammlungen Stuck und Jugendstil konzipierte die Übersichtsschau zu Franz von Stucks bildhauerischem und malerischem Schaffen, weil es heuer den 50. des Museums Villa Stuck zu feiern gilt. 1968, nach Geburtswehen, die im Grunde mit dem Tod des Künstlers 1928 begannen, hatte München ein Museum. Stuck und dem Jugendstil sollte es verpflichtet sein. Um dessen „Schicksal“ zu erzählen, wurde auf der Galerieebene des heutigen Ateliertrakts eine Chronologie aus Fotos, Entwurfsskizzen und -plänen und Zeitungsausschnitten wie etwa aus dem „Münchner Merkur“ erstellt. Sie berichtet von drohenden Versteigerungen und Rettungskäufen, grausigen Umbau- oder gar Abrissplänen. Sie berichtet von der Musikhochschule, die von 1946 bis 1957 in der Villa wirkte, von Galeristen, die dort unterkamen, wie unter anderen die Legende Günther Francke, und natürlich von Gunter Sachs, der 1967 dort sein Modern Art Museum mit einem Happening eröffnete.

1965 hatten Hans-Joachim und Amélie Ziersch von Otto Heilmann, dem Enkel Stucks, das Haus für gut eine Million Mark gekauft. Man verpflichtete sich, in den Räumen auch ein Museum einzurichten. Stadt und Staat halfen. Zwei Jahre später schenkte das Paar den Besitz dem Stuck-Jugendstil-Verein, der das Museum betrieb. Die Älteren unter den Münchnern werden sich erinnern, dass er nicht nur interessante, oft moderne, Ausstellungen ermöglichte, sondern auch eine Schlangengrube war: Streit ohne Ende. Ruhe kehrte erst ein, als die Stadt München 1992 Haus und Sammlung übernahm. Seit der Zeit herrscht verlässlich hohes Niveau im Museum Villa Stuck. Die Lebendigkeit des Museums unterstreicht eine ergänzende Präsentation mit Vernissagen- und Feste-Fotos (Künstler und Prominenz), Publikationen und Zuschriften im Wohntrakt der Villa.

Dass diese Vielschichtigkeit zum niederbayerischen Münchner Stuck passt, beweist seine Amazone, die nun in sein Neues Atelier eingeritten ist. Es ist wunderbar, dass dadurch unsere Aufmerksamkeit intensiv auf sie und das Pferd gelenkt wird. Die große Variante ist herber als die glattere Statuette. Wind und Wetter hat der Bronze Lebendigkeit verpasst. Stuck zeigt die junge Frau in dem Moment, als sie den Speer schleudern will. Der rechte Arm holt entspannt aus, das rechte Bein spannt sich angewinkelt an und drückt auf den Pferdeleib. Die linke Hand an verdrehtem Arm greift Halt suchend in die Mähne, während das linke Bein völlig gestreckt wird, als suche es eine Stütze. Spannung und Entspannung hält der Künstler konsequent durch: Das Ross bewegt sich verhalten, der Tradition von Reiterstandbildern entsprechend. Betrachtet man jedoch den Kopf genau, erkennt man Schrecken und Angst. Selbst Details waren Stuck wichtig, etwa die gespreizten Zehen der Amazone oder der nette Knoten im Schweif.

Die Statuetten im Bildhauersaal können es mit dieser Amazone meistens aufnehmen. Schön  ist außerdem, dass wir die frühesten Arbeiten Stucks und seine letzten sehen dürfen: die Renaissance-inspirierten Pokale aus den 1890er-Jahren und der kubistisch anmutende St. Georg von 1924. Die schöne Helena als Plastik und als Gemälde geleitet dann zum Maleratelier nach oben. Alle Gemälde wurden wie ehedem beim Malerfürsten auf Staffeleien arrangiert. Ein eminentes Raumerlebnis – und eines, das den brutal mit dem Löwen kämpfenden Samson und die charmanten Damen auf Leinwand gleichermaßen zu skulpturalen Werken macht.

Bis 6. Mai,

Di.-So. 11-18 Uhr; am ersten Freitag im Monat ab 18 Uhr freier Eintritt;

Telefon: 089/ 45 55 510.

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