„Modern sein heißt für die Frau ein eigenes Gesetz in der Brust tragen“, schrieb Carry Brachvogel 1912. Münchnerin, Schriftstellerin, Salon-Gastgeberin, Feministin. Und das alles in einer heiteren bayerischen Wolke von Bürgerlichkeit, Bohème und Jugendstil. München platzte damals vor Kreativität. Dass das in ganz besonderem Maße für Frauen galt, ist – man muss es leider sagen – wie üblich vergessen. Da schafft jetzt die Monacensia im Hildebrandhaus Abhilfe mit der Ausstellung „Evas Töchter – Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung 1894 bis 1933“.
Elisabeth Tworek, die scheidende Monacensia-Chefin, hat in ihren 24 Jahren am Haus kontinuierlich Künstlerinnen präsentiert – von Bally Prell bis Lena Christ. Sie hat genauso versucht, Nachlässe zu erwerben wie nun das Vermächtnis von Emma Merk, die bei den Haushofers einheiratete, und das von deren Stieftochter Marie Haushofer sowie jenes von Brachvogel. Für Tworek ist nicht nur die künstlerische Seite wichtig, sondern insbesondere die der Bildung; schließlich ist die Monacensia Teil der Münchner Stadtbibliothek. Und Bildung war eben eines der zentralen Themen der Frauenemanzipation. Wissen ist die Basis für unabhängiges Denken, einen vernünftigen Beruf, gute Bezahlung und damit für die Unabhängigkeit von irgendeinem männlichen Versorger.
Für das Fakten-Futter der Schau „Evas Töchter“ sorgte die Wissenschaftlerin Ingvild Richardsen. Sie beschäftigte sich 2010 mit der Münchner Dichterin Carry Brachvogel (1864-1942) und kam durch die Wiederentdeckung der erfolgreichen Autorin auf über ein Dutzend weiterer Künstlerinnen, die in München die Frauenbewegung organisierten oder sich ihr anschlossen. Zu ihnen gehörte Merk (1854-1925), von der das Buch „Evas Töchter“ stammt; es gibt der Ausstellung den Namen. Das witzige Werk über Frauen um die vorletzte Jahrhundertwende ist als Prachtband in der Schau präsent: samtbezogen plus Jugendstildekor. Emma Merk, die aus einer gut situierten Kunstmalerfamilie kam und zu einer Bestsellerautorin wurde, ist in dieser Vitrine Nachbarin von Emmy von Egidy (1872-1964) und Helene Böhlau (1856-1940). So gern sie alle schrieben, so bewusst setzten sie den floralen Münchner Jugendstil als sinnlichen Akzent ein – oft selbst malend, entwerfend, bildhauernd.
Jugendstil war damals nicht bloß modernes Design, er war Lebenshaltung. Befreiung von steifen Zwängen aus alten Zeiten wollte man, was auch hieß, von zwanghaften Denkstrukturen. Diese gesellschaftspolitische Symbiose von Jugendstil und Frauenbewegung verkörperte sich idealtypisch im Fotoatelier Elvira. Das Paar Anita Augspurg und Sophia Goudstikker war extra ins lockere München gezogen, um zusammen leben und arbeiten zu können. Als Fotografinnen wurden sie nicht ausgegrenzt wie bei anderen Berufen. Und August Endell schuf ihnen ein sensationelles Jugendstil-„Shape of Water“, freilich als Märchen ohne Düsternis. Diese Unterwasserwelt an der Von-der-Tann-Straße 15 ist bis heute legendär. Die Nazis zerstörten sie. Wie die Frauenemanzipation. Die hätte ja das Konzept der Gebärmaschinen für Kanonenfutter unmöglich gemacht. Mit diesem Kapitel schließt die Ausstellung. Die jüdische Münchnerin Carry Brachvogel wurde 1942 als alte Frau ins KZ Theresienstadt deportiert und starb dort bald.
Augspurg und Goudstikker bildeten in diesem Kunst-Geflecht gleichfalls die Keimzelle der organisierten Frauenbewegung, die seit den 1860er-Jahren in Deutschland stetig wuchs. 1894 wurde „Die Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau“ gegründet, weil Frauen nicht an politischen Versammlungen teilnehmen durften. Es folgten „Der Verein für Fraueninteressen“ und 1899 der erste „Allgemeine Bayerische Frauentag“. Ingvild Richardsen, die Gestalter von KW neun und der Medienentwickler Martin Otter erzählen mit Hörstationen, Fotokulissen, authentischen Objekten – vom Brief bis zum Schal, vom Programmheft zum Festspiel „Culturbilder aus dem Frauenleben“ von Marie Haushofer bis zum Theaterfoto – über eine Zeit der Aufbruchsstimmung. Das typisch Münchnerische daran: Viele Männer machten mit. Voran die Jugendstilkönner Endell und Hermann Obrist, aber auch Dichter wie Rainer Maria Rilke oder Firmenchefs.
15. März bis 16. September,
Mo.-Mi., Fr. 9.30-17.30 Uhr, Do. 12-19 Uhr, am Wochenende 11-18 Uhr, Eintritt frei; Maria-Theresia-Straße 23; Telefon 089/ 419 47 20.
Der weiterführende Begleitband „Evas Töchter“ kommt in vier Wochen beim Volk Verlag heraus, 272 Seiten mit vielen Abbildungen; 25 Euro; Buchvorstellung ist am 3. Mai in der Monacensia.