„Ein groteskes Kapitel deutscher Rundfunkgeschichte“ kommt am 12. April im Gasteig auf die Bühne: Das szenische Konzert „Swing Heil“ erzählt die Geschichte von Charlie and His Orchestra, einer Swingband, die sich Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels zu Propagandazwecken hielt – in einer Zeit, in der Jazz als „Negermusik“ verpönt und verboten war. Regisseur und Produzent Peter Wortmann sowie der Leiter des Wine and Roses Swing Orchestra, Heinz Dauhrer, erzählen, was hinter dieser unglaublichen Geschichte steckt.
-Eine Jazzband unter Goebbels’ Aufsicht – wie passt das zusammen?
Wortmann: Der Münchner Schlagzeuger Freddie Brocksieper bekam einen Anruf von Lutz Templin, der in Berlin das große Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester führte, und erfuhr zum größten Staunen, dass Propagandaminister Goebbels Templin beauftragt hatte, eine Swingband zusammenzustellen. Wobei bekanntermaßen die Nationalsozialisten und Goebbels den Jazz und somit den Swing verboten haben. Die Band war für Propagandazwecke gedacht. Sie spielte im Rundfunkstudio Berlin an der Masurenallee, und zwar ausschließlich für Sendungen ins sogenannte feindliche Ausland. Mit den „Volksempfängern“, wie deutsche Radiogeräte damals hießen, konnte man die gar nicht empfangen.
-Herr Dauhrer, haben Sie davon gewusst?
Dauhrer: Nein, was überraschend war, weil mich Charly Tabor, der einst auch in dieser Propagandaband war, Ende der Achtzigerjahre in seine Bigband geholt hat. Er und Brocksieper haben mir gegenüber nie etwas darüber verlauten lassen. Auch in den Proben, die ich privat bei Tabor zu Hause machen durfte, hat er nie über die Zeit gesprochen.
-Herr Wortmann, wie haben Sie davon erfahren?
Wortmann: Durch Brocksieper. Schon 1956/57, als ich gerade nach München gekommen war und als Amateurschlagzeuger natürlich den großen Freddie Brocksieper im Studio 15 an der Leopoldstraße kennenlernen wollte. Der war ein wenig redselig, vor allem, wenn es nach den Konzerten an der Bar auf Mitternacht zuging. Freddie erzählte mir das Ganze. Das hatte wohl damit zu tun, dass er mitbekommen hatte, dass ich damals schon für die „Abendschau“ des BR die ersten Berichte gedreht hatte. Er sagte: Ich hab da was, vielleicht kannst du was damit anfangen.
-Wer war sonst noch dabei von den Münchner Jazzgrößen?
Wortmann: Auf jeden Fall Tabor, wobei man feststellen muss: Die Goebbels-Band hieß nicht seinetwegen Charlie and his Orchestra, sondern da kommt ein ganz anderer Mensch ins Spiel, Karl Schwedler. Der hatte in den USA eine Agentur betrieben und war zu Kriegsbeginn ins „Reich“ zurückgekehrt. Er arbeitete im Propagandaministerium und sollte das tun, was die Musiker zunächst gar nicht wussten: die weltberühmten Swing-Hits singen, die die Band im Repertoire hatte. Allerdings nicht mit den Originaltexten. Schwedler sang zu den Original-Arrangements Propagandatexte, im Grunde genommen Hetze gegen „feindliche“ Mächte, vor allem die Engländer. Da kamen Titel raus wie „Let’s go bombing“.
Dauhrer: Der Text ist ziemlich bitter: „Let’s go bombing like United Nations Airmen do in the night when peaceful citicens are sleeping…“ Das waren wirklich böse Texte.
-Nun soll das auf die Bühne kommen.
Wortmann: Das Konzert besteht zur Hälfte aus den großen Swing-Hits, die zum Teil mit den entsprechend verfremdeten Texten gespielt werden. Die andere Hälfte sind Rezitationen, vorgetragen von der Musicaldarstellerin April Hailer und dem von der Münchner Musikhochschule kommenden Sänger Maximilian Höcherl – übrigens eine echte Entdeckung. Die Texte sind sehr informativ. Autor Oliver Hochkeppel und ich haben drei Dialogszenen geschrieben, die die private Situation der Musiker beleuchten. Es war ja nicht ganz einfach, den Damen zu erklären, dass man auf einmal Seidenstrümpfe und französischen Cognac und Lebensmittelkarten Nr. 1 mit nach Hause brachte. Das waren alles Vorzüge, die die Musiker genossen. Da wurde nicht gleich als Erstes gesagt: „Wir spielen jetzt für die Nazis.“ Da hieß es eher: „Wir dürfen Swing spielen!“ Und dann gab es Fragen von den Frauen des Hauses.
-Gründen sich diese Szenen auf konkrete Quellen?
Wortmann: Nein. Die Szenen sind fiktiv. Aber sie basieren auf dem, was Freddie Brocksieper mir damals erzählt hat.
-Das Konzert bietet also eine Art Docutainment?
Wortmann: Man darf sich das Ganze nicht als pure geschichtliche Lehrstunde vorstellen. Es ist eine makabre Show mit toller Musik, und der Unterhaltungswert kommt nicht zu kurz. Wir haben Pete York zur Mitwirkung bewegen können, einen der bekanntesten Schlagzeuger Europas. Er bringt eine wunderbare Portion britischen Humor in diese Geschichte hinein, die sich im Grunde zwischen Goebbels und Churchill abspielt.
-Was ist es für ein Gefühl, Nazi-Propagandasongs zu spielen?
Dauhrer: Ein sehr eigenartiges. Die Originaltexte transportieren ja ganz andere Botschaften. Und das in dem Zusammenhang zu hören, tut schon weh. Allerdings kann man auch den Bogen in die Gegenwart spannen.
-Inwiefern?
Dauhrer: Weil Ähnliches heute viel subtiler passiert, wenn man sich so manche rechtsgerichtete Band anhört. Da gibt’s genauso Propaganda in den verschiedenen Lagern. Und das hat damals eigentlich angefangen mit dem Reichspropagandaministerium, das eine riesige Werbeagentur war. Ich bin durch die Beschäftigung mit diesem Thema sehr wach geworden und achte viel mehr auf Texte. Das ist eine Botschaft, die wir an die Jugend weitertragen müssen: Man muss aufpassen, womit man sich berieselt und was man in seinen Kopf reinkriegt.
-Verurteilen Sie die Kollegen, die damals mitgemacht haben?
Dauhrer: Ich habe mir oft die Frage gestellt, was ich in der selben Situation gemacht hätte. Ich glaube, ich hätte auch das Musikmachen vorgezogen, um mich über diese schwere Zeit zu retten. Man muss ja mal sehen, was die Alternativen waren: Man kam entweder an die Front, wo man gezwungen war zu schießen, oder zum Arbeitsdienst, bei dem man Granaten befüllen oder Munition und Waffen herstellen musste.
-Herr Wortmann, Sie haben die Geschichte lange mit sich herumgetragen.
Wortmann: Ich war früher Regisseur und Dokumentarfilmer und später dann Fernsehproduzent. Und immer wenn ich diese Episode – auch meist nachts um drei an irgendeiner Bar – erzählt habe, habe ich gemerkt, wie stark alle auf dieses Thema angesprungen sind. Ich hab’ dann versucht, einen Film zu machen; letztlich erfolglos. Jetzt aktuell gibt es einen Filmproduzenten, der uns beauftragt hat, ein Drehbuch zu schreiben. Es sieht besser aus als in den vergangenen Jahrzehnten. Das Konzert könnte also der Auftakt zu einem größeren Projekt sein.
-Was ist heute anders?
Wortmann: Ende der Fünfzigerjahre wurde ich noch zurückgewiesen mit den Worten: „Nicht schon wieder etwas aus dieser Zeit!“ Gott sei Dank haben sich die Zeiten geändert. Heutzutage horcht man auf und sagt: „Das hat es wirklich gegeben?“ Der Witz ist, dass es so unbekannt geblieben ist. Man findet über dieses Thema ausschließlich in dem einen oder anderen Fachbuch etwas. Auch dort wird Charlie and his Orchestra aber nur erwähnt, ohne dass großartig darauf eingegangen würde.
-Was gab letztlich den Ausschlag, das Thema nach fünf Jahrzehnten anzupacken?
Wortmann: Es gab zwei Leute, die sehr hilfreich waren, damit dieses ganze Programm entstehen konnte. Das ist einmal der Oliver Hochkeppel und auf der anderen Seite Claus Reichstaller, der Chef der Jazzakademie in der Musikhochschule. Vor über drei Jahren, als das neue NS-Dokumentationszentrum gebaut wurde, bin ich zur Hochschule gegangen und habe gesagt: Nun wird endlich die NS-Zeit in neuer Weise aufgearbeitet. Wenn wir „Charlie and his Orchestra“ jetzt nicht machen, dann wird es nie mehr etwas. Und schließlich haben wir im Rahmen einer Veranstaltungswoche des NS-Dokuzentrums das Projekt erstmalig mit Studierenden der Hochschule aufgeführt.
-Wie kam „Swing Heil!“ bei der Band an?
Dauhrer: Nur einer hatte Vorbehalte, weil der Titel „Swing Heil“ sehr provokativ ist. Wenn man den Untertitel („Jazz-Musiker im Dritten Reich – ein groteskes Kapitel deutscher Rundfunkgeschichte“, Anm. d. Red.) nicht liest, ist schwer zu verstehen, was da passiert. Aber sobald man die Geschichte kennt, versteht man das. Die anderen Musiker haben es positiv aufgenommen, zumal die meisten noch mit Brocksieper und Tabor gespielt haben.
-Ihre Generalprobe mit dem Wine and Roses Swing Orchestra fand vor Kurzem in Unterföhring statt. Wie war die Resonanz?
Dauhrer: Durchweg gut. Es hat nicht nur uns, sondern offenbar auch dem Publikum großen Spaß gemacht. Inzwischen haben wir weiter dran gearbeitet und einige Arrangements verbessert. Wir sind noch mehr ins Detail gegangen, damit das genauso klingt wie damals.
Das Gespräch führte
Peter T. Schmidt.
Aufführung
am 12. April, Gasteig; www.muenchenticket.de, www.muenchenswingt.de.