Ein bescheidender Auftakt

von Redaktion

Zwischenbilanz des Berliner Theatertreffens mit Münchner Beteiligung – Wiebke Puls wurde als Schauspielerin geehrt

VON SABINE DULTZ

Der Beifall war stark, das Amüsement beträchtlich, und an der Verleihung des 3sat-Preises an die großartige Schauspielerin Wiebke Puls gab es nichts auszusetzen: Die Münchner Kammerspiele dürften zufrieden sein mit ihrem Gastspiel von „Trommeln in der Nacht“ im Deutschen Theater Berlin. Ein zweites, „Mittelreich“, steht noch bevor.

Zum Berliner Theatertreffen eingeladen zu sein, kann an sich schon als Auszeichnung gesehen werden. Aber dann erst nach Frank Castorfs Inszenierung von „Faust I + II“ ins Rennen zu gehen, ist allerdings für die angereisten Bühnen ein Problem. Bis jetzt jedenfalls, bis zur Halbzeit dieser 55. Ausgabe der sogenannten Besten-Show des deutschsprachigen Theaters; denn angesichts von Castorfs theatraler und intellektueller Maßlosigkeit erscheint alles andere mehr als bescheiden. Mit seiner genialischen Goethe-Überschreibung und Ansiedlung des Dramas im französischen Kolonial-Milieu sowie in Victor Hugos Paris der Herren und Huren hatte Castorf vor einem Jahr seine Volksbühnen-Intendanz beendet. Geschmeichelt durch die Auswahl zum Theatertreffen lehnte er es jetzt jedoch ab, gastspielmäßig noch einmal an den Rosa-Luxemburg-Platz zurückzukehren, nicht in sein altes Haus, dem nun Chris Dercon vorstand. Er hatte ja nicht ahnen können, dass sein Nachfolger bis zum Theatertreffen schon wieder aus der Stadt befördert sein würde.

Jedenfalls griffen Senat und Lottostiftung tief ins Portemonnaie, um mit schlappen 500 000 Euro die Umrüstung der „Faust“-Inszenierung für das Haus der Berliner Festspiele zu finanzieren. „Na und“, sagte da Thomas Oberender, Intendant der Festspiele, schnöselig in seiner Eröffnungsansprache, bei der Oper rege sich über solche Summen doch auch niemand auf. Dann aber: Jubel für Castorf, Ovationen fürs Ensemble mit Martin Wuttke, Marc Hosemann und Valery Tscheplanowa an der Spitze. Nach siebenstündiger Spieldauer feierte eine verschworene Gemeinschaft, die die Höhepunkte wie auch die Durststrecken der Inszenierung euphorisch auskostete, am Ende sich selbst. Und merkte gar nicht, dass diese Aufführung gegenüber der Premiere im März 2017 an Qualität verloren hatte. Das mag daran gelegen haben, dass man nach einem Jahr Pause in kürzester Zeit wieder zusammenfinden musste – und zwar auf einer Bühne, die kleiner ist und der Inszenierung Luft und Raum nahm. Dennoch: eine gewaltige Überforderung.

Eine peinliche Unterforderung war dagegen das, was der siebenköpfigen Jury in Zürich so gut gefallen haben muss: „Beute Frauen Krieg“ – mal wieder „nach“ Euripides‘ „Troerinnen“ und „Iphigenie in Aulis“. Um es salopp zu sagen: Das war Antike für Doofe. Attraktiver Schauplatz: eine ehemalige Werkhalle der alten AEG, der sogenannten Rathenau-Hallen, direkt gelegen an der Spree. Regisseurin Karin Henkel wollte die Geschichte der Kriege speziell aus weiblicher Sicht erzählen – mit viel technischem Brimborium, mit Laufsteg und Tribünenwechsel, mit Simultanszenen und Live-Zuschaltung über Kopfhörer von Texten und Geräuschen. Die Dramen wurden skelettiert, banal zerredet und platt bebildert. Auch eine junge Frau von heute sollte akzeptieren, dass ein alter Grieche bereits vor zweieinhalbtausend Jahren den Trojanischen Krieg aus dem Blickwinkel der Frauen beschrieben hat. Darum ist uns dieser Dichter ja so nah. Und die Jury? Man merkt die Absicht … und ist verstimmt.

Dagegen vermitteln die Münchner Kammerspiele mit dem jungen Brecht durchaus gute Laune im Parkett. Zunächst. Doch dann setzt Rüping im zweiten Teil der grotesken Heimkehrer-Komödie die Nebelmaschine in Gang, und alle Klarheit ist perdu. Die bis dahin so guten Schauspieler sprechen jetzt im Chor und das ziemlich schlecht. Alles wird in Unschärfe versenkt. Hätte sich der Regisseur bescheiden daran gehalten, was Brecht in einem Gedicht empfahl – „… Also beleuchte/ Was wir erarbeitet, dass die Zuschauer/ Sehen können …“ –, wäre die Aufführung insgesamt besser gelungen. Doch von Bescheidenheit kann bei Rüping kaum die Rede sein. Dass auf der Titel- ebenso wie auf der Rückseite des Programmheftes in großen Lettern sein Name als Regisseur prangt, größer als der des Autors, ist wohl einzigartig. Das las man so bislang bei keinem.

Auch nicht bei Thomas Ostermeier, der in Berlin derzeit das beste und interessanteste Sprechtheater führt, die Schaubühne. Mit seiner Inszenierung „Rückkehr nach Reims“ nach dem gleichnamigen Roman des französischen Soziologen Didier Eribon ist er beim Theatertreffen dabei. Zur Debatte steht die autobiografische Beschreibung des aus den Niederungen der französischen Arbeiterklasse in die politisch zweifelhafte Intellektuellen-Elite des Landes aufgestiegenen linken Autors. Die Szene ist ein Tonstudio, in dem unter Anleitung eines Regisseurs die Lesung des Romans durch eine Schauspielerin aufgezeichnet wird. Und die ist Nina Hoss: unaufdringlich, souverän, natürlich. Sie setzt Maßstäbe, auch für die noch zu erwartenden Gastspiele.

Theatertreffen Berlin

noch bis 21. Mai; Informationen und Karten unter www.berlinerfestspiele.de.

Artikel 5 von 7