Dass Menschen vor der Vorstellung um einen herum schlichen und um eine Karte bettelten, machte da schon klar, dass die Sehnsucht nach Schauspielkunst riesig ist. Als sich dann am Freitag zum Applaus für den Gastspielauftakt des Schauspielhauses Hamburg das Publikum in den Münchner Kammerspielen für Edgar Selge zu Standing Ovations erhob, war ebenso klar: Die Sehnsucht hatte sich erfüllt. Mit dem fast zweieinhalbstündigen hochgelobten Monolog „Unterwerfung“ nach Michel Houellebecqs Roman bewies er den Münchnern schmerzlich, was sie sowohl an den Kammerspielen als auch am Staatsschauspiel meist vermissen, nämlich ein angemessenes Niveau der Schauspielkunst.
Selge bewegt sich mit dem 2016 uraufgeführten und von Hamburgs Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier inszeniertem Stück in enormen Höhen jener Kunst. Viele im Zuschauerraum wussten, dass das Kammerspiele-Ensemble in der Dieter-Dorn-Ära ganz selbstverständlich in solch Höhen agiert hatte. Und Selge hat es deutlich mitgeprägt. Er selbst ließ indes keine Nostalgie aufkommen, sondern stürmte auf die Bühne, um erst mal mit den Zuschauern zu charmieren. Monolog-Unterbrechungen dieser Art lockerten den Abend auf. Spannung und Entspannung rhythmisierte der Künstler leger und lässig – ohne jedoch jemals an Konzentration zu verlieren. Schließlich erzählt er in der Rolle des Pariser Literaturprofessors François nicht nur von dessen Sexleben, sondern muss ausgiebig politisch und (religions-)philosophisch argumentieren. Selge machte das so unterhaltsam und verführerisch, dass gerade dadurch die Verführungskunst der neuen Machthaber überzeugte.
Die sind recht umgängliche Islamisten – allerdings nur für Männer. Beier und Dramaturgin Rita Thiele haben das in ihrer Fassung hervorragend herausgearbeitet. Die Unterwerfung unter einen neuen Gott – der gar nichts mit einer Religion/Ethik zu tun hat – funktioniert deswegen fast reibungslos, weil Männer das bekommen, was sie wollen: viel Geld und unterwürfige Frauen. Selge, in einem ausgestanzten Kreuz herumturnend (kluge Bühne: Olaf Altmann), servierte die bitterböse Analyse so brillant wie liebenswürdig, dass jeder die Pille schluckte.
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von 4.-6. 6.; Restkarten mit viel Glück: 089/ 23 39 66 00.