Junger, zeitgenössischer Tanz im Münchner Prinzregententheater, und das Haus ist voll – tosender Beifall inklusive. Die Uraufführungs-Plattform „Junge Choreographen“, mit der Staatsballettchef Igor Zelensky auch diesmal frische Bewegung in die Opernfestspiele bringt, das sind vier ganz unterschiedliche schöpferische Temperamente. Was für den einen zur choreografischen Gestaltung rein die Musik, ist für den anderen der Blick auf die Gesellschaft oder die eigene Biografie.
Das Publikum erkennt sich sofort selbst in „Waste“ (Verschwendung, Abfall, Müll) wieder: Štěpán Pechar, noch Tänzer im Tschechischen Nationalballett Prag, verarbeitet hier seinen aktuellen Termin-gehetzten Lebensabschnitt. Im Bewegungsgetriebe der Gruppe, einer hektischen, wie versklavt ihre Müllsäcke mit sich schleppenden Konsum-Gesellschaft, werden Ziyue Liu und Dukin Seo als aufeinander zustrebendes Paar immer wieder getrennt. Gefühle, gar Liebe haben hier keinen Platz, und die Seele erkennt es zu spät.
Pechar, der nach Kunstturnen und Leichtathletik spät zum Tanz kam, ist sichtbar erst am Anfang seiner choreografischen Laufbahn, wirkt jedoch authentisch mit seinem bewusst anti-schönen, fast expressionistisch aus der Körpermitte herausgeschleuderten Stil.
Auch „To & From“ des Chinesen Menghan Lou ist eine Lebens-Metapher: nämlich für sein ständiges Unterwegssein. Als Ex-Tänzer des Nederlands Dans Theaters hat Lou die von ihm verinnerlichten Handschriften der wichtigen NDT-Künstler wie Jiří Kylián, Hans van Manen, Paul Lightfoot ungemein subtil auf seine tiefenwirksam arbeitende Persönlichkeit hin zugeschliffen. Mit nichts als einem Kreis auf der Bühne, ein paar Stühlen und seinem bildnerischen Gespür nimmt er uns mit auf eine Lebensreise. Aus der Gruppe seiner acht Tänzer treten Paare für eine Begegnung in den Kreis, und jeder Pas de deux ist auf phänomenale Weise, in seiner Machart verschieden: die (Partner-)Bewegungen ineinander gleitend oder viril kantig oder gestisch skurril. Wunderbar darin alle Staatsballettler. Und zu Thijs Scheeles mit Piano durchmischter elektronischer Komposition hat das eigentlich ruhige Stück einen im Herzschlag durchgehenden Rhythmus. Lou, ein Künstler, hat Zukunft.
Dann haut es rein mit „Abferkeln“ des bayerischen Hoffnungsträgers Dustin Klein. Es ist ein semi-dokumentarisches Tanztheater, in dem der Schauspieler Luis Lüps als Bauer, Schlachter und Vermarkter all das über Schweinezucht bis zum -verzehr erzählt, die Horror-Statistiken mit Deutschland als Rekordfleisch-Produzenten inbegriffen, was wir vielleicht gar nicht so genau wissen wollen, aber sollten. Und Lüps veranschaulicht das auch gerne mit blutigen Händen. Ja, hier geht mit Paul Putzars grandios plastischem Video voller Reihen von Schweinsköpfen und niedertaumelndem Schlachtgut eine riesige Ferkelei ab. Während zeitgleich eine Handvoll Tänzer, dabei auch Klein selbst, zu Matthew Herberts durchquiektem und durchgrunztem Soundtrack auf Knien in irrwitzigen Bewegungen auch noch das Schwein tanzen. Alles prächtig. Ein bisschen kürzen wäre jedoch nicht schlecht.
Dafür lässt New-York-City-Ballet-Mitglied Peter Walker in einer luftigen Viertelstunde zwei Damen und drei Herren auf Oliver Davis’ flott dahinsausender Musik elegant, oft spannend im Tanz-Tempo rapid gegen verlangsamt gesetzt, die sportliche US-Neoklassik feiern: fußschnell, in der Schritt-Kombination so vertrackt, dass der Zuschauer hinterherhechelt. Gefreut hat, dass sich an diesem Abend auch mal Tänzer aus den hinteren Reihen profilieren konnten. Matteo Dilaghi, brillant als Pina-Bausch-Darsteller, kann also auch neoklassisch.
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