„Ich wusste nicht, was ich da tat“

von Redaktion

Meg Ryan, die beim Festival von Locarno geehrt wurde, über ihre Zufallskarriere, Komödien und das nervige Hollywood

Mit Filmen wie „Harry und Sally“, „Schlaflos in Seattle“, „French Kiss“ oder „e-m@il für Dich“ wurde Meg Ryan in den Neunzigerjahren zur Königin der Liebeskomödien. Beim Festival von Locarno bekam sie nun einen Goldenen Leoparden für ihr Lebenswerk. Tags darauf, in einem Hotel mit traumhaftem Blick über den Lago Maggiore, treffen wir die 56-Jährige zum Interview. Sie trägt ein langes weißes Kleid und bequeme Sandalen, schüttelt ihre blonde Löwenmähne und strahlt übers ganze Gesicht. Auf ihren linken Unterarm hat sie sich in Schreibschrift den Satz „Das Leben ist kurz“ eintätowieren lassen. Trotzdem nimmt sie sich viel Zeit, um mit erfrischender Ehrlichkeit unsere Fragen zu beantworten.

-Sie haben ursprünglich in New York Journalismus studiert…

Ja, und um mir das Studium zu finanzieren, habe ich nebenbei Werbespots gedreht. Weil ich einen Artikel über Castings schreiben wollte, sprach ich für eine TV-Serie vor – und bekam die Rolle! Dabei hatte ich zuvor nur in einer Schülertheatergruppe gespielt und keine Ahnung von Film oder Fernsehen. Ich glaube, meine erste Szene musste 37 Mal wiederholt werden. Zum Glück hatte man Geduld mit mir. Ich wusste nicht so genau, was ich da tat. Eigentlich weiß ich es bis heute nicht! (Lacht.)

-Wussten Sie, was Sie taten,  als  Sie für die legendäre Szene in „Harry und  Sally“  vor  der Kamera einen Orgasmus vortäuschten?

O ja! Laut Drehbuch sollten wir nur darüber diskutieren, ob Frauen den Männern beim Sex etwas vorspielen. Ich schlug vor, es einfach vorzuführen. Die Szene habe ich mir also selbst eingebrockt. Regisseur Rob Reiner war beim Dreh übrigens viel nervöser als ich – wegen seiner Mutter, die am Nachbartisch saß. Sie ist diejenige, die im Film sagt: „Ich will genau das, was sie hatte!“

-Finden Ihre Kinder die Szene peinlich?

Meine 13-jährige Tochter hat den Film neulich mit einer meiner Freundinnen zum ersten Mal gesehen. Sie hat den Witz der Szene überhaupt nicht verstanden und fragte nur irritiert: „Was macht Mami da?“ Es war wohl noch etwas zu früh für sie.

-Sie haben mit Kollegen wie Tom Hanks, Billy Crystal, Hugh Jackman, Andy García, Denzel Washington, Alec Baldwin oder Nicolas Cage gedreht. Mit wem hatten Sie am meisten Spaß?

Alle waren einfach wundervoll. Mit Alec habe ich mich kaputtgelacht, auch Tom ist wahnsinnig witzig, Hugh ein vollendeter Gentleman… Ich hatte großes Glück – eine #MeToo-Story kann ich Ihnen nicht erzählen. Mein früher Erfolg hat mich vermutlich beschützt: Ich wurde nie belästigt, weil die Männer offenbar Schiss hatten, dass ich darüber mit meinem Agenten oder der Presse sprechen könnte.

-Sie galten jahrelang als „Amerikas Liebling“…

Ja, die Regisseurin Nora Ephron hat diesen Begriff während unserer Pressetour für „Schlaflos in Seattle“ geprägt, und ich dachte: Verdammt, jetzt klebt ein Etikett an dir! Ein süßes zwar, aber es ist und bleibt ein Etikett, das dich einschränkt.

-Damals haben Sie begonnen, Dramen zu drehen, wie etwa „When a Man loves a Woman“, in dem Sie eine Alkoholikerin verkörpern. War das Ihr Versuch, das Etikett abzureißen?

Nein, ich wollte bloß möglichst viel Abwechslung bei meinen Projekten. Von den rund 40 Filmen, die ich gedreht habe, sind vielleicht ein Viertel Komödien. Das Problem ist nur, dass die anderen kaum jemand gesehen hat.

-Ihr radikalster Bruch mit dem Nettes-Mädchen-von-nebenan-Image war Jane Campions düsterer Psychothriller „In the Cut“, in dem Sie eine sexuelle Faszination für einen Frauenmörder entwickeln…

Ja, das war die große Bombenexplosion in meinem Leben – und ich meine das positiv! Der Film ist eine Art Gegengift für süßliche Komödien. Jane sagte damals: „Diese romantische Vorstellung, du müsstest als Frau darauf warten, dass ein Ritter in glänzender Rüstung angeritten kommt und dich rettet, ist doch völliger Quatsch!“

-Waren Sie auf die Hassreaktionen des Publikums vorbereitet?

Nein. Ich hätte nie gedacht, dass mir die Zuschauer die Abkehr von meinem Image derart verübeln würden. Vielleicht hätten wir die Leute vorwarnen sollen: „Erwarten Sie bloß kein ,French Kiss 2‘!“ Ich habe mich bei „In the Cut“ zum ersten Mal im Leben wie eine Künstlerin gefühlt und bin bis heute sehr stolz auf den Film. Meine Erwartungen ans Filmemachen haben sich dadurch entscheidend verändert.

-Haben Sie deshalb Hollywood mehr und mehr den Rücken gekehrt?

Ja, ich hatte auf bestimmte Dinge einfach keine Lust mehr. Wissen Sie, als Anfängerin im Filmbusiness hinterfragst du es nicht, dass du dauernd herumkommandiert wirst und alle an dir rumfummeln: Jemand steckt dich in ein Kleid, jemand bringt dein Mikrofon an, jemand zupft dir die Augenbrauen… Irgendwann ging mir das alles auf die Nerven; ich wollte meine Ruhe, es war Zeit für eine Pause. Schließlich hatte ich den Job lange genug gemacht. Die Schauspielerei war nie mein Kindheitstraum gewesen – ich habe immer lieber beobachtet, als beobachtet zu werden. Nur wegen meines Sohnes bin ich überhaupt so lange in Los Angeles geblieben. Drei Tage nach seinem Schulabschluss sind wir nach New York gezogen.

-Vor drei Jahren haben Sie mit dem Kriegsdrama „Ithaca“ Ihr Regiedebüt vorgelegt. Würden Sie gern wieder als Regisseurin arbeiten?

O ja! Mit Nora Ephrons Schwester Delia arbeite ich derzeit an einer Liebeskomödie, die ich unbedingt inszenieren möchte. Sie handelt davon, wie die sozialen Netzwerke das Balzverhalten und den Prozess des Kennenlernens verändert haben. Von Nora habe ich gelernt, dass gute Liebeskomödien stets auch Momentaufnahmen ihrer jeweiligen Zeit sind. Es ist ein schwieriges Genre, das eine feine Balance und einen ganz bestimmten Ton erfordert. Hugh Grant hat treffend gesagt: „Eine romantische Komödie zu drehen bedeutet, als Ballon in einer Welt voller Nadeln zu schweben!“

Das Gespräch führte Marco Schmidt.

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