Die weltgrößte Sängerin ist sie nicht, musikalisches Genie muss man ihr auch nicht unterstellen – und dennoch darf Madonna Louise Ciccone als erfolgreichster weiblicher Popstar unserer Tage gelten. Nur so als Kennziffern: Alleine in Deutschland hat die Frau in den vergangenen 36 Jahren 62 Lieder in den Hitparaden platziert und stand mit zwölf Alben an der Spitze der Charts (siehe Kasten). Verkaufte Tonträger weltweit: mehr als 300 Millionen, angeblich ist sie Dollar-Milliardärin. Heute nun feiert Madonna, die für mittlerweile zwei Generationen von Künstlerinnen als Rollenmodell diente, ihren 60. Geburtstag – und ist immer noch gut im Geschäft.
Wenn man musikalisch in den Achtzigerjahren sozialisiert wurde, erkennt man etwas erstaunt, dass sie tatsächlich als letzter großer Star dieser Dekade übrig geblieben ist. Prince ist tot, ebenso Michael Jackson und George Michael. Andere Größen wie Depeche Mode sind belanglos geworden oder komplett in der Versenkung verschwunden wie, nur ein beliebiges Beispiel, die Eurythmics. Madonna ist noch immer da; darauf hätte zu Beginn ihrer Karriere niemand gewettet.
Im sogenannten Rust Belt in Michigan, der größten und ältesten Industrieregion der USA, in einfache Verhältnisse geboren, will sie zunächst Tänzerin werden. Ihre Ausbildung bricht sie aber ab und versucht ihr Glück in New York, nun als Musikerin. Mit einiger Chuzpe gelingt es ihr, in angesagten Clubs ihre Demo-Tapes einzuschmuggeln. Langsam macht sie sich einen Namen und knüpft Kontakte zu den richtigen Leuten. Dass sie auffallend hübsch ist und eine sinnliche Ausstrahlung hat, hilft natürlich – selbstverständlich weiß sie das.
Madonna, seinerzeit Schlagzeugerin mit einem Faible für punkigen New Wave, erkennt schnell, dass sie mit einem anderen, gefälligeren Sound bessere Chancen hat. 1983 hat sie erste Hits, ein Jahr später katapultiert sie sich mit „Like a Virgin“ in eine eigene Sphäre. So gut wie wenige andere Künstler nutzt sie das neue Medium des Videoclips und verkauft nicht nur ihre Lieder, sondern gezielt ein Image als Gesamtpaket: als eine Frau, die offen mit ihrer Sexualität umgeht, aktiv und fordernd.
Wie gesagt: Sie ist nicht die begabteste Sängerin ihrer Zeit, aber smart, diszipliniert und rasend ehrgeizig. Geschickt inszeniert sie sich als Provokateurin und sorgt 1989 für einen ersten US-weiten Skandal. Madonna, sehr katholisch erzogen, küsst im Video zu „Like a Prayer“ einem schwarzen Jesus die Füße, im Hintergrund sieht man brennende Kreuze – das trifft den Nerv einer bigotten Nation, die ihren Rassismus bekanntlich bis heute nicht überwunden hat.
Nach und nach wird Madonna politischer, tritt offensiv für Frauenrechte plus sexuelle Selbstbestimmung ein und wird immer wieder zur Trendsetterin. Mit ihrem Bildband „SEX“ treibt sie es 1992 sogar für ihre Verhältnisse fast zu bunt. Die Nacktfotos in Sadomaso-Ästhetik lassen keinen Platz mehr für Fantasie – das kalkulierte Auftreten überdeckt beinahe die Musik. Zu dieser Zeit liebäugelt Madonna ohnehin mit einer Laufbahn beim Film, aber abgesehen vom frühen Überraschungserfolg „Susan verzweifelt versucht“ kann sie das Publikum im Kino nie recht überzeugen.
Mit ganz neuem Klangbild gelingt ihr 1998 mit dem Album „Ray of Light“ wieder ein Paukenschlag, sie bleibt am Puls der Zeit, immer wieder aufs Neue. Das ist ihr eigentliches Talent. Sie erspürt, was kommt, wozu man tanzt und welche Töne als zeitgemäß empfunden werden. Natürlich schnappt sie sich immer die besten Produzenten und Musiker, auch dafür hat sie ein Händchen.
Ihre andere große Stärke, die Steuerung des eigenen Bildes in der Öffentlichkeit, ist ihr freilich im Laufe der Jahre abhandengekommen. Aus der charmanten, smarten und gewitzten Entertainerin ist eine mitunter schwer zu ertragende Besserwisserin geworden, die offenbar tatsächlich glaubt, die Gabe zur Weltrettung zu besitzen. In den USA, wo sie seit jeher von konservativen Medien angefeindet wird, machen sich mittlerweile auch liberale Kommentatoren über sie lustig, beispielsweise wenn sie Reisewarnungen nach Afrika schicken: Die Menschen dort sollten ihre Kinder verstecken, Madonna sei wieder auf Adoptionstour. Den Fans ist das egal – sie können offenkundig sehr gut zwischen der Musikerin und der Privatperson unterscheiden. Auch mit 60 wird Madonna Stadien füllen und ihre Hits haben. Und letztlich zählt nur das.