Salzburger FESTSPIELE

Schwarze Poesie an der Heimatfront

von Redaktion

von joachim Lange

In ihrem Schauspiel-Programm liefern die Salzburger Festspiele heuer exemplarische ästhetische Zugänge. Auf der einen Seite Frank Castorf mit „Hunger“, auf der anderen Ulrich Rasche mit den „Persern“. Hier der notorische Dekonstrukteur, der fast jeden erdenklichen Bezug, den die Vorlage liefert, in Assoziationen verwirbelt und so eine eigene Welt entstehen lässt – was auch Zuschauer in die Flucht schlagen kann. Und dort, am anderen Ende der Skala, Ulrich Rasche. Als sei er ein Wiedergänger von Einar Schleef, lässt er Texte exerzieren, Worte langsam skandieren. So kommt er in „Die Perser“ von Aischylos auf gut vier Stunden Aufführungsdauer – samt Publikumsverlusten in der Pause und Jubel der Verbliebenen am Ende.

Im Grunde betreibt auch Rasche eine Art Dekonstruktion. Doch er nimmt den Text (in Durs Grünbeins exzellenter Übertragung) Wort für Wort, Vers für Vers auseinander, haut ihn gleichsam in Stein oder in Marmor und setzt dann alles wieder zusammen. Und dies im Korsett einer minimalistisch-suggestiven Tonspur aus Trommelschlag, Marimba, Vibrafon, Bratsche, Bass, zwei Sängern und einem Quantum Elektronik, komponiert von Ari Benjamin Meyers.

Das ist unerbittlich, ohne Fluchtmöglichkeit aus einem Joch des Rhythmus und der Worte – vor der Vorstellung wurden ans Publikum kostenlos Ohrenstöpsel verteilt. Für all das braucht es glänzende, auf Präzision gedrillte Schauspieler, die nie aus dem Tritt kommen, auch wenn sie auf zwei riesigen Scheiben agieren müssen. Dieses Herausschleudern der Worte aus der Bewegung des ganzen Körpers, entweder beim nie endenden Schreiten auf einem Laufband (wie bei den Münchner „Räubern“) oder ebenfalls auf Scheiben (wie beim „Wozzeck“ in Basel oder dem „Großen Heft“ in Dresden) ist ein Markenzeichen des Regisseurs. Damit bringt Rasche Formstrenge in ein Theater zurück, das gerne auf seine Form pfeift.

Im Landestheater, in dem die mit Frankfurt koproduzierten „Perser“ als letzte Festspiel-Premiere herauskamen, sprengen die beiden Scheiben fast den Raum. Für die vordere mussten die ersten Reihen dran glauben. Hier ist die Heimatfront. Die Ältesten in der Perserhauptstadt erahnen hier zunächst die Katastrophen-Nachrichten vom Griechenland-Abenteuer ihres Königs, schließlich leiden sie ausführlich an der krachenden Niederlage. Dies ist auch das Reich dreier großartiger Schauspielerinnen. Katja Bürkle (vom Münchner Residenztheater) und Valery Tscheplanowa (dort früher fest im Ensemble) sind der persische Ältestenrat, Patrycia Ziolkowska ist Xerxes’ Mutter Atossa. Auf der Scheibe dahinter, einem Hydraulikwunder, das sich innen und außen gegenläufig drehen kann, von unten beleuchten und bedrohlich aufrichten lässt, wird der Botenbericht vom Desaster der Perser zum atemberaubenden Ereignis.

Wo sonst Videos, Blut und Theaterwaffen zum Einsatz kommen würden, übernimmt an diesem Abend der Chor, angekettet wie auf einer Galeere, mit der eskalierenden Brutalität der Worte und gegeneinander marschierenden Kämpfern. Zu erleben ist eine schwarze Poesie aus Licht und Gegenlicht, aus Formation und Vereinzelung im Untergang. In aller Nüchternheit und Abstraktion werden Bilder des Grauens geformt. Was die 15 Männer hier abliefern, ist atemberaubend.

Das Fazit bei Ulrich Rasche: Eroberungskrieg vom Zaun gebrochen, weil man sich überlegen fühlte, krachend verloren, nichts dazu gelernt, und Schuld an allem sind die Götter. Ob hier ein Dichter zeigt, was passiert, wenn die Arroganz der Macht den Blick trübt für die Schwächeren, ob ein Publikum zum Nachdenken herausgefordert werden soll, all das ist diesem Regisseur nicht so wichtig.

Weitere Vorstellungen

heute, morgen sowie 23. bis 27. August;

Telefon 0043/ 662/ 8045-500.

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