Der Mann, der das Rätselhafte liebt

von Redaktion

Roger Ballen schenkt der Foto-Sammlung des Münchner Stadtmuseums 175 Originalabzüge seiner Aufnahmen

Von Alexander Altmann

Man wäre gerne noch länger geblieben, denn die Klimatisierung funktionierte ausgezeichnet: Trotz Sommerhitze herrschten bei der gestrigen Pressekonferenz im Festsaal des Münchner Stadtmuseums angenehm kühle Temperaturen. Aber die waren nicht der einzige Grund für die Freude von Hans-Georg Küppers: „Das ist für uns ein wunderbarer Tag“, verkündete der Münchner Kulturreferent, „denn wir bekommen eine große Schenkung von Roger Ballen.“

Der berühmte Fotograf hat der Fotoabteilung des Stadtmuseums 175 Originalabzüge seiner Aufnahmen übergeben, und zu Recht wies Küppers darauf hin, dass dies „ein großes Zeichen des Vertrauens in unser Stadtmuseum“ sei. Woran man sieht, dass sich internationales Ansehen eben doch manchmal auszahlt. Schon vor Jahrzehnten, als die großen Kunstmuseen oft noch gar nicht daran dachten, Fotografie in ihre Sammlungen aufzunehmen, genoss das Fotomuseum nicht nur in Fachkreisen weltweites Renommee. Zu verdanken ist das auch seinem Leiter: Ulrich Pohlmann hat beste Verbindungen zu allen wichtigen Fotografen, die folglich bei ihm ihre Werke gut aufgehoben wissen.

Auch Roger Ballen (Foto: Christian Schmieder/ Stadtmuseum) ist dem Fotomuseum seit den frühen Neunzigern freundschaftlich verbunden, wie er bei der Pressekonferenz erzählte. Geboren 1950 in New York, studierte er in den USA zunächst Psychologie. 1974 ging Ballen nach Südafrika, um dort noch ein Studium der Minen-Geologie dranzuhängen. Das mag auf den ersten Blick überraschen, aber schließlich haben es Bergwerksgeologen auch mit der Erforschung tiefster Schichten und Gänge zu tun, die genauso im Verborgenen liegen wie die seelischen Regionen, die den Psychologen interessieren. Für Ulrich Pohlmann stehen Ballens Fotos darum auch in der Tradition des Surrealismus und der Art Brut von „Geisteskranken“, weil sie „das Unbewusste sichtbar machen“ – allerdings nicht im Sinne einer Erklärung, sondern „das Rätselhafte soll bestehen bleiben“.

Und rätselhaft sind diese Bilder tatsächlich oft. Da sieht man etwa einen alten Mann mit versiffter Kleidung in einem ebenso versifften Zimmer auf dem Sofa sitzen und ein haariges Wildschwein auf dem Schoß halten. Auf anderen Bildern stieren geistig Behinderte in die Kamera, oder eine weiße Ratte läuft auf dem nackten Rücken eines seltsam verrenkten Menschen, über dem ein loses Stromkabel aus der fleckigen Wand hängt, das gefährlich nach Kurzschluss aussieht. Solche oft schockierenden Motive, die an Freakshows erinnern, fand der Fotograf Ballen in weit abgelegenen Dörfern Südafrikas, wo in elenden Verhältnissen jene verkommene weiße Unterschicht des Landes dahinvegetiert, von deren Existenz viele Südafrikaner selbst nichts wissen. Dabei geht es Ballen kaum um eine sozialkritische Anklage, sondern um den verstörenden Reiz des Grotesken und Abseitigen – in dem wir auf erschreckende, ungreifbare Weise einen Teil unserer selbst zu erahnen meinen.

„Wenn man die Bedeutung eines Bildes benennen kann, ist es ein schlechtes Bild“, erklärte Roger Ballen dazu selbst. Im Übrigen sei es für ihn „eine große Ehre, meine Bilder hier im Fotomuseum zu haben“. Und weil die Beschenkten sich ein bisschen revanchieren wollten, bekam der edle Spender seinerseits ein Foto geschenkt, eines jener berühmten Bilder, die den jungen Brecht 1927 im Ledermantel zeigen. Der Dichter war auf seinem Gebiet schließlich genauso ein Meister der Verfremdung wie Roger Ballen. Der ist übrigens auch als Filmemacher aktiv: Sein  Musikvideo für die Band De Antwoord wurde 125 Millionen Mal angeklickt.

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