Ungewöhnliche Renaissance: Erst vor wenigen Jahren erlebte Hans Falladas Meisterwerk „Jeder stirbt für sich allein“ eine Wiederentdeckung. Vor allem in den USA eroberte der NS-Widerstandsroman mehr als 60 Jahre nach seinem Erscheinen die Hitlisten. Jetzt hat der Berliner Aufbau Verlag einen Briefwechsel des Schriftstellers (1893-1947) mit seinen Schwestern herausgebracht. Unter dem Titel „Ohne Euch wäre ich aufgesessen“ gibt das Buch einen sehr persönlichen Einblick in sein zerrissenes Leben.
„Ich bitte Euch zu diesem Weihnachtsfeste, wenn auch noch nicht zu vergeben und zu vergessen, mir doch noch ein letztes Mal eine Möglichkeit zu geben“, schreibt der damals 35-Jährige am 20. Dezember 1928 an seine Lieblingsschwester Elisabeth („Ibeth“). Zu dem Zeitpunkt hat er die ersten Katastrophen seines Lebens bereits hinter sich. Mit 19 hatte Fallada (bürgerlich Rudolf Ditzen) bei einem als Duell getarnten Doppelselbstmordversuch seinen besten Freund getötet und sich schwer verletzt. Als er aus der Klinik kommt, ist er alkohol- und morphiumabhängig. Mehrfach verschafft er sich durch Unterschlagung bei seinen landwirtschaftlichen Arbeitgebern Geld für die Sucht. Er landet im Gefängnis.
Als er danach als Adressenschreiber und Lokalreporter wieder auf die Füße kommt, beginnt der Briefwechsel mit Ibeth und Margarete. Bis kurz vor seinem Tod 1947 reißt der Kontakt nicht mehr ab. Über tausend Briefe sind im Hans-Fallada-Archiv Carwitz gesammelt. Etwa ein Drittel davon hat sein jüngster Sohn Achim Ditzen (77) für den Band ausgewählt und sorgsam ediert. Wie schon in der Biografie „Hans Fallada: Sein Leben in Bildern und Briefen“ (2012) erzählen auch diese Schreiben anschaulich von den Alltäglichkeiten des Schriftstellers: von seiner geliebten Frau Suse und den drei Kindern, vom ewigen Kampf ums Geld und von dem kleinen Hof im mecklenburgischen Carwitz, der mit seinen selbst geschlachteten Schweinen in schlimmsten Kriegszeiten die halbe Verwandtschaft über Wasser hält.
Und natürlich gehören die Schwestern immer zu den Ersten, die neue Manuskripte geschickt bekommen und über das Auf und Ab der Arbeit informiert werden. Nach dem Welterfolg mit dem Kleinbürgerroman „Kleiner Mann – was nun?“ (1932) folgen unter Begleitung des väterlichen Verlegers Ernst Rowohlt überaus produktive Jahre. Doch zunehmend gerät auch Fallada unter den Druck der Nazis. Er gilt zeitweilig als „unerwünschter Autor“ und beschränkt sich auf unverfängliche Unterhaltungsgeschichten. Einmal schreibt der Autor wie nebenbei von einem „kleinen Nervenkollaps“, ein andermal von Depressionen, die „ohne Ursach“ kommen und gehen. In Wirklichkeit hat Fallada nach fast jedem Roman einen schweren seelischen Zusammenbruch. Doch so, wie er auch in seinen Büchern eher sachlich beschreibend von der Not der Leute erzählt, bleibt er auch dem eigenen Leid gegenüber distanziert. Nur in seinem wohl letzten Brief an die Mutter, der dem Band beigefügt ist, scheint seine Verzweiflung ein wenig durch. „Woran liegt es nur bei mir, Mutti?“, fragt er. „Du weißt es ja am besten, ich bin wohl schwach, aber nicht schlecht, nie schlecht.“ Sechs Wochen später stirbt Fallada mit 53 Jahren in einem Behelfskrankenhaus in Berlin – wohl an einer Überdosis Schmerz- oder Schlafmittel. Nada Weigelt
Hans Fallada:
„Ohne Euch wäre ich aufgesessen. Geschwisterbriefe“. Hrsg. von Achim Ditzen; Aufbau Verlag, Berlin, 473 Seiten; 26 Euro.