Ein Buch von Helene Hegemann (Foto: Henning Kaiser/dpa) kann sich anfühlen, als ob man einem Bus hinterher rennt. Ihr Roman „Bungalow“ beginnt mit einer Szene, in der Erzählerin Charlie (17) beim Sex auf der Waschmaschine liegt und dann ihren Liebhaber würgt, bis dieser ohnmächtig wird. Ähnlich atemlos geht das Buch weiter. Literatur im Schleudergang, mit der Hegemann (26) es gerade in die Vorauswahl für den Deutschen Buchpreis geschafft hat. Der Plagiatsskandal rückt so immer weiter nach hinten in ihrem Lebenslauf. 2010, da war Hegemann 17 Jahre alt, erschien „Axolotl Roadkill“. Sex, Drogen, Techno: Alle Welt sprach über das Buch. Dann kam heraus: Sie hatte Passagen aus einem anderen Roman übernommen. Sie hat sich davon freigemacht. Erst mit einem zweiten Roman („Jage zwei Tiger“), dann mit dem viel gelobten Film „Axolotl Overkill“.
Ihr neues Buch verbindet zwei Welten. Es spielt in einem Weltkulturerbe-Viertel mit schicken Bungalows, die inmitten von ärmlichen Mietskasernen stehen. Charlie lebt dort mit ihrer kettenrauchenden und trinkenden Mutter. Charlie, benannt nach der Schauspielerin Charlotte Rampling, ist zwölf, als das Künstlerpaar Georg und Maria ins Viertel zieht. Sie verliebt sich, eine Projektion: „Ich war wie dieser Schwan, der sich in das Tretboot verliebt hat.“ Es passieren viele merkwürdige Dinge im Buch. Es gibt apokalyptische Szenen wie tote Tiere und Menschen, die auf schreckliche Weise ums Leben kommen. Es geht um Freundschaften, Jugend, Nachbarn, Schule, Armut, Gewalt, Sucht und Tod.
Am besten ist das Buch, wenn es den Schmerz beim Heranwachsen in einer kaputten Familie schildert. Wie es ist, wenn das Geld nur für Toast und Ketchup reicht oder die Mutter vom Wein auf Wodka umsteigt. Mit ihrem Schulfreund Iskender wechselt Charlie am Laptop nahtlos von „Mein kleines Pony“ zu Hardcore-Pornos. Hegemann fängt das Sich-alleine-Fühlen in einer kaputten Welt ein, wieder geht es um einen Teenager in Extremsituationen. Hegemann hat ohne Zweifel eine Handschrift. Besonders, wenn sie sich über die Künstlerschickeria lustig macht. Man kann in Hegemanns Büchern nach den Spuren ihrer eigenen Biografie suchen. Sie hat ihre Mutter früh verloren und zog mit 13 von Bochum zum Vater nach Berlin. Dass man ihren Vater Carl nicht mit den Typen aus ihren Büchern verwechseln sollte, hat sie öfter deutlich gemacht. Mit „Bungalow“ schwimmt sich Helene Hegemann weiter frei. Man kann ihre Bücher anstrengend finden, aber ihr Talent muss sie nicht mehr beweisen. Falls sie den Roman wieder selbst verfilmt: vielleicht was für die Berlinale? Caroline Bock
Helene Hegemann:
„Bungalow“. Hanser Verlag, München, 240 Seiten; 22 Euro.