Liebe in Zeiten ihrer Unterdrückung

von Redaktion

Christoph Hein schildert in seinem neuen Roman „Verwirrnis“ die Qual zweier Männer, die ihre Homosexualität unterdrücken müssen

Von Wolf Scheller

Christoph Hein ist einer der produktivsten Autoren aus der einstigen DDR, die sich mit der Stimmungslage nach dem Zusammenbruch des SED-Staats befaßt haben. Romane wie „Glückskind mit Vater“, „Landnahme“ oder „Willenbrock“ leben aus einer spezifisch ostdeutschen Erfahrung und ihrer kritischen Sicht auf Veränderungen, die von vielen so oder so auch als eine Bedrohung ihrer Lebensgewohnheiten betrachtet wurden. Der heute 74-jährige Hein sieht sich da als „Chronist ohne Botschaft“. Und in der Tat ist seine literarische Verarbeitung von beeindruckender Nüchternheit, eben auch in seinem neuen Roman „Verwirrnis“, der von einer Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Männern aus der DDR handelt. Sie versuchen alles Menschenmögliche, ihre Homosexualität zu verbergen. Als die DDR die gleichgeschlechtliche Liebe 1957 legalisierte, war man in der Bundesrepublik noch lange nicht soweit.

Hein spannt den Bogen über mehrere Jahrzehnte bis 1993, als sich sein Protagonist Friedeward Ringeling in der Badewanne umbringt, ohne sein Schwulsein jemals bekannt gemacht zu haben. Er ist der jüngste Sohn eines erzkatholischen Gymnasiallehrers aus Heiligenstadt, der seine drei Kinder mit der Klopfpeitsche erzieht und diese „schwarze Pädagogik“ moraltheologisch begründet. Die Geschwister verschwinden schnell. So kommt Friedeward, der seinen Namen nicht zu Unrecht trägt, alleine in den „Genuss“ der väterlichen Erziehungskunst. Als er in der Schule den Neuzugang Wolfgang Zernick kennenlernt, dessen Vater als Musiklehrer und Kantor an der Ortskirche exakt das Gegenteil von Pius Ringeling darstellt, entwickelt sich rasch eine Beziehung zwischen den Buben – angeregt durch die Lektüre von Robert Musils Erzählung „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ und Thomas Manns Novelle „Tonio Kröger“.

Dieser Bezug kommt dem Leser zwar etwas willkürlich und gewollt vor, aber  Hein belässt es in seinem nüchternen Erzählstil beim Notwendigsten dieses diffusen Auslebens einer verbotenen Liebe. Friedeward und Wolfgang revoltieren auf ihre Weise gegen ihre von Ideologien und Bevormundung geprägte Umgebung, lieben sich und werden prompt angezeigt. Für Friedewards Vater bricht wieder einmal sein Weltkonstrukt zusammen. Es kommt zum Streit zwischen den Vätern über die vermeintlichen Missetaten ihres Nachwuchses. Wolfgang und Friedeward schauen sich bei einem gemeinsamen Besuch in Berlin Hildegard Knefs als die „Sünderin“ im Kino an. Es scheint so etwas wie Aufbruchstimmung zu herrschen.

Die Burschen basteln sich mit Hilfe von zwei Frauen eine Schein-Identität zusammen. Wolfgang verabschiedet sich schließlich grußlos in den Westen, nicht ahnend, dass auch hier seine Karriere als hochbegabter Musiker durch die Vorbehalte gegen seine Homosexualität gefährdet ist. Die Beziehung kühlt ab. Friedeward, der in Leipzig studiert, lernt dort den hochangesehenen Germanistikprofessor kennen – unschwer als Hans Mayer, zu entschlüsseln. In Heins Roman macht Friedeward Karriere, promoviert und habilitiert sich, „doch es sollte noch gut eineinhalb Jahrzehnte dauern, ehe er tatsächlich berufen wurde“. Das geschieht zwei Jahre vor der Wende. Dann bleibt ihm nur noch die Aufgabe, das Institut unter den obwaltenden neuen Verhältnisse abzuwickeln.

Friedeward Ringeling, von dem es heißt, er sei ein edler Mensch, begegnet uns als jemand, der sich sein Lebtag in eine Art Selbstverleugnung flüchtet, beschädigt, gebrochen durch die Erfahrung von Repression, in der Familie und in der Gesellschaft. Als sein Vater stirbt, fragt er seine Mutter, ob sie ihren Mann geliebt habe. Eine Frage, die von der Mutter umgangen wird. Sie habe ihren Mann respektiert,einen Familienvater, der sich rühmte, nur die Erziehungsmethoden anzuwenden, die er von seinem Vater und der wiederum von dem Seinen übernommen habe. Am Schluß dieser unseligen Kette ein „edler Mensch“?

Heins „Verwirrnis“ ist als Roman mit doppeltem Boden zu lesen. Einmal als ein Buch über die Grenzen der Liebe in Zeiten ihrer Unterdrückung, zum anderen als eine Darstellung von Systemen, die an Kontinuität festhalten. Jedenfalls hat wieder einmal bei Christoph Hein der Chronist den Sieg davongetragen.

Christoph Hein:

„Verwirrnis“.

Suhrkamp Verlag, Berlin, 303 Seiten; 22 Euro.

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