„Sehr berührt und überrascht“

von Redaktion

Der Historiker Götz Aly erhielt den Geschwister-Scholl-Preis

VON ALEXANDER ALTMANN

Wie kommt es, dass 75 Prozent der französischen Juden vor der Ermordung im Holocaust bewahrt werden konnten, obwohl die französische Kollaborationsregierung mit den deutschen Besatzern zusammenarbeitete? Wesentlichen Anteil an dieser Rettung hatte die katholische Kirche Frankreichs, die den Verfolgten tatkräftig Hilfe leistete. In Polen hingegen verhielt sich die gleiche katholische Kirche ganz gegenteilig und fiel vor allem durch antisemitische Hetze auf. So wie auch polnische Behörden und Polizisten den deutschen Machthabern eifrig bei der Verfolgung und Deportation der polnischen Juden zuarbeiteten, während ausgerechnet faschistische Länder wie Italien und Spanien keinen einzigen bedrohten Juden, der aus Deutschland floh, zurückwiesen.

Diese Beispiele für die ganz unterschiedliche Beteiligung – oder Verweigerung – europäischer Länder bei der Judenverfolgung durch die Nazis führte Götz Aly gestern Vormittag bei einem Pressegespräch in der Münchner Universität an. Und noch viel mehr solcher erstaunlichen Geschichten finden sich im jüngsten Buch des bekannten Historikers. „Europa gegen die Juden 1880-1945“ (S. Fischer Verlag) heißt diese geschichtswissenschaftliche Untersuchung, für die Aly gestern Abend in der großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität der diesjährige Geschwister-Scholl-Preis (10 000 Euro) verliehen wurde.

Der 1947 geborene Historiker bette den Holocaust „in den europäischen Kontext ein, ohne die Schuld der Deutschen zu relativieren“, hob Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers hervor. Er nahm am Pressegespräch als Vertreter der Landeshauptstadt teil, die den Preis zusammen mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels inzwischen schon zum 39. Mal vergibt.

Aly selbst erklärte, er sei „sehr berührt und überrascht“ gewesen, den Preis zu bekommen, über den er sich besonders freue. Obwohl nicht Widerstandskämpfer, sondern eher die breite Masse der Mitläufer Gegenstand seiner Forschung seien, verbinde ihn mit den Geschwistern Scholl und dem Kreis der Weißen Rose nicht nur die Tatsache, dass er seinerzeit in Gräfelfing vor den Toren Münchens ausgerechnet am Kurt-Huber-Gymnasium Abitur machte – benannt nach Professor Kurt Huber, der zur Weißen Rose gehörte. Das „heutige Gemäkel“ an den Geschwistern Scholl, weil sie anfangs vom Nationalsozialismus begeistert waren, sei für ihn „völlig unverständlich“, erklärte Aly. Die bewundernswerte Leistung der Scholls habe doch eben gerade auch darin bestanden, „aus diesem Strom der Menge auszusteigen“.

Lesung

Götz Aly liest heute Abend um 20 Uhr in der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl, Leopoldstraße 45; Telefon 089/ 380 15 00.

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