Berühmt wurde sie als Actionheldin in Filmen wie „Girlfight“, „Avatar“, der „Fast & Furious“-Reihe oder der TV-Serie „Lost“. Nun überrascht Michelle Rodriguez als gedemütigte Ehefrau im Krimidrama „Widows – Tödliche Witwen“. Zum Interview beim Filmfestival von Deauville begrüßt uns die 40-jährige Latina mit langen Haaren und figurbetontem Kleid. Sie bestellt sich einen Tee („Earl Grey, bitte mit etwas Milch und Honig, dann bin ich wunschlos glücklich“), bevor sie Klartext redet.
Haben Sie schon als Kind von einer Schauspielkarriere geträumt?
Nein. Ich wollte Drehbuchautorin werden, seit ich 14 war. Damals habe ich mir täglich drei Filme auf VHS reingezogen und gedacht: Verdammt, das könnte ich besser schreiben! Stattdessen geriet ich auf die Action-Schiene. Das führte immerhin dazu, dass ich bei fast allen Filmen meine Dialoge umschreiben durfte. Schon beim ersten „Fast & Furious“-Film sagte ich zum Regisseur: „So redet keine Sau!“ Das Drehbuch hatten offensichtlich Typen fabriziert, die im Gegensatz zu mir nie auf der Straße oder in einer Gang gelebt hatten.
Haben Sie keine Lust mehr auf Actionkracher?
Nach 15 Jahren Kommerz-Kino hatte ich das Gefühl: Hier stoße ich an eine Decke, hier gibt es keine Herausforderungen mehr für mich. Eine Rolle in einem Action-Blockbuster könnte ich jederzeit aus dem Ärmel schütteln, notfalls mit verbundenen Augen. Aber mit echter Schauspielerei hat das nichts zu tun. Darum war ich froh, als das Angebot zu „Widows“ kam: Es hat mir so sehr Angst gemacht, dass ich mich in dieses Projekt stürzen musste.
Inwiefern?
Ich wollte nie vor der Kamera einen solchen Frauentypus verkörpern, weil ich ihn gespenstisch finde: eine brave Hausfrau, die sich früh schwängern und heiraten lässt, völlig von ihrem Mann abhängig ist, von ihm übel ausgenutzt wird, keine Perspektiven im Leben hat und nie aus dem Viertel herausgekommen ist, in dem sie geboren wurde. Mich stößt die Vorstellung ab, als Frau den Mann bedingungslos zu lieben, der dich unterdrückt. So etwas kenne ich zur Genüge.
Woher?
Aus meiner Familie und meinem Bekanntenkreis. Alle meine Freundinnen wurden spätestens mit 17 schwanger. Ich dachte jedes Mal: Dieser Kugel hättest du doch leicht ausweichen können, blöde Kuh! Nun musste ich mich für „Widows“ in so eine Frau hineinversetzen – und plötzlich wurde mir bewusst: Diese Frau könnte meine Mutter sein! Ich liebe meine Mutter! Warum zum Teufel verabscheue ich diese Filmfigur? Autor und Regisseur Steve McQueen fand das psychologisch hochinteressant.
Er hat mit „Shame“ oder „12 Years a Slave“ bewiesen, dass er das Beste aus Darstellern herausholen kann. Wie schafft er das?
Er reißt dich aus deiner Komfortzone und bringt dich in unangenehme Situationen. Er weiß: Da schlummert die Magie. Angesichts einer Gefahr wachsen Menschen über sich hinaus. Bei McQueen geht es darum, vor der Kamera deine Seele zu entblößen. Das ist etwas anderes als die körperlichen Herausforderungen eines Actionfilms.
Sie haben angedroht, aus der „Fast & Furious“-Filmreihe auszusteigen.
Ich habe mehr Respekt gegenüber den weiblichen Figuren der Reihe angemahnt. Bis jetzt kann man an einer Hand abzählen, wie oft sich in den acht Filmen Mädels miteinander unterhalten. Wir erfahren so gut wie gar nicht, wie sie ticken. Interessiert ihr euch überhaupt dafür, ihr Drehbuchschreiber? Ob ich beim nächsten „Fast & Furious“- Film wieder an Bord bin, hängt also ganz vom Drehbuch ab.
Mögen Sie Autos überhaupt?
Ich bin ein größerer Autonarr als Vin Diesel. Ich liebe es, schnell zu fahren und mit einer Knarre herumzuballern – das hat etwas Befreiendes. In der Nähe von Explosionen habe ich mich immer wohlgefühlt. Anscheinend gibt es eine maskuline Seite an mir, die Gewalt liebt. Fragen Sie lieber nicht, wie viele Schusswaffen ich daheim habe.
Wie viele?
Eine Menge. Große und kleine. Eine gute Mischung. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich hasse niemanden und bin seit meiner Jugend im Getto nie wieder in eine Schlägerei geraten. Aber irgendwie mag ich die Vorstellung, mich im Notfall selbst verteidigen zu können. Andererseits muss ich jedes Mal, wenn ich den Disney-Film „Der König der Löwen“ sehe, wieder heulen, sobald Simbas Vater stirbt. Offenbar habe ich also auch eine weibliche Seite. Und ich bin froh, dass ich mit „Widows“ endlich begonnen habe, sie zu erforschen!
Das Gespräch führte Marco Schmidt.