Beziehungskiste

von Redaktion

PREMIERENKRITIK Becketts „Warten auf Godot“ im Volkstheater

VON SIMONE DATTENBERGER

„Warten auf Godot“ – an Becketts berühmtestem Stück (1948/ 49, uraufgeführt 1953) läuft die Interpretations-Maschine immer und immer wieder heiß. Ist nun dieser Godot, der verspricht zu kommen, aber einfach nicht erscheint, Gott – oder was? Samuel Beckett (1906-1989), der nie auch nur einen Hauch einer Auslegung seines Werks angeboten hat, macht eigentlich vor allem die Beziehungskiste auf. Natürlich steckt in ihr auch ein spiritueller Bezug, der vielleicht ein Gegenüber hat – vielleicht. Wirklich und handfest sind die anderen Gegenüber, die Mitmenschen. Und auf diese Beziehungen hat der irische Dichter genau geschaut. Sein „Warten auf Godot“, von ihm auf Französisch verfasst, hat jetzt ein Franzose fürs Münchner Volkstheater auf Deutsch inszeniert. Premiere war am Donnerstagabend (zweieinhalb Stunden mit Pause).

Europa als gelebter Alltag. In ihm schwingt unausweichlich unsere lange Tradition mit. Beckett spielt mit ihr und kratzt an ihr. Dabei belässt es ebenfalls Regisseur Nicolas Charaux, und er macht sich nicht dadurch lächerlich, dass er Beckett dekonstruiert. Für seine tief humanistische Inszenierung eines Textes, der Hoffnungslosigkeit beschreibt und Hoffnung schafft, hat Pia Greven in einen großen schwarzen Bühnenkasten eine Museumsinstallation gesetzt. Wir sind wohl in der Minimalismus-Abteilung, und Becketts schütteres Bäumchen ist eine schmale Holzlatte mit einer Querstrebe. Wenn es dann später austreibt, sind die Blätter grüne Kuben. Davor ein amorpher Bollen à la Franz West; und kurz markiert ein heller Ballon den Mond.

Hier ist der vereinbarte Treffpunkt mit Godot, der den Heimatlosen, Wladimir (Silas Breiding) und Estragon (Jonathan Müller), ein sicheres Zuhause geben soll. Wer aber auftaucht, ist lediglich sein Bote, ein kleiner Ziegenhirte (in der Premiere Francesco Wenz), der die beiden vertröstet. Außerdem das Paar Lucky (Jonathan Hutter) und Pozzo (Jakob Geßner). An diesen Zweierkonstellationen spielt Samuel Beckett viele alltägliche Beziehungen durch; egal, ob Mann oder Frau, Mutter/ Vater und Kind, erotisch oder politisch, intellektuell oder gefühlvoll. Entscheidend ist nur, ob die Relation partnerschaftlich und zugewandt ist oder auf Macht und Ohnmacht basiert. Allen gemeinsam: Sie sind nicht fähig, einen Sinn in ihrem Sein zu erkennen und selbst einen zu erschaffen.

Beckett verwandelt in seinen Dialogen diese universal gültigen, existenziellen Themen in ein luftig dahinschwebendes Spiel. Das Spiel ist das Einzige, was Sinn und Hoffnung gibt. Der Autor spielt und lässt seine Figuren spielen. Und so macht es Charaux. Er lässt Beckett und den Schauspielern Luft, führt Letztere aufmerksam und behutsam. Das kommt zuallererst der Sprache zugute. Die vier sprechen schön und mit Verstand, was einem wahrscheinlich besonders auffällt, weil an den anderen Münchner Bühnen so schlecht artikuliert wird. Die Stimme als herrliches Bühneninstrument, pur, ohne Mikro, wird bisweilen poetisch ergänzt von Estragon und Wladimir, die mit Mundharmonika und Kastagnette Harmonie und Zartheit in die schwarze Welt zaubern; ja, eine Kastagnette kann sehr, sehr zart sein.

Während die beiden eine Beziehung auf Augenhöhe verkörpern, zeigen Pozzo und Lucky das sadistische Gewalt- und Abhängigkeitssystem. Auch hier wird gespielt, fürchterlich, zerstörerisch. Zugleich serviert Theatermacher Beckett den Schauspielern damit eine wüste Show-Einlage à la Circus maximus. Jakob Geßner und Jonathan Hutter fetzen das bewundernswert vielfarbig schillernd und bedrängend auf die Volkstheaterbühne. Kein eitler Selbstzweck in schrillen Kostümen (Pia Greven), sondern Basis für die Fallhöhe zum zweiten Auftritt: Gewalt zerfrisst nicht nur den scheinbar Schwachen. Dagegen setzen Charaux sowie Silas Breiding als Wladimir und Jonathan Müller als Estragon ein feingliedriges Spiel, das eine Freundschaft/ Liebe innig charakterisiert. Weder der Streit noch die Blödeleien, weder die Fürsorge noch die Trennungswünsche, weder die Zärtlichkeiten noch die Körperspäße sind dick aufgetragen. Hier gibt es keine Philosophen-Clowns und keine Existenzialisten-Intellektuellen. Die beiden sind Du und ich. – Herzlicher Applaus.

Nächste Vorstellungen

am 11., 20., 21. April; Karten: 089/ 523 46 55.

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