Schaumspieler-Treffen

von Redaktion

Theaterversion des Romans „Hochdeutschland“ an den Kammerspielen

VON ALEXANDER ALTMANN

Das war doch mal ein flockiger Abend – zumindest im wörtlichen Sinn. Denn die ganze Bühne ist mit einem hüfthohen Schaumgebirge bedeckt in der Kammer 2 der Münchner Kammerspiele. Einsam ragt ein Megafon aus der weißen Pracht, durch das man zur Einstimmung Angela Merkel im O-Ton hört. Dann erscheinen auch schon die Schauspieler (Zeynep Bozbay, Abdoul Kader Traoré, Jannik Mioducki, Julia Windischbauer), die in der Schaumflut herumwaten, -kriechen oder -sitzen, während sie anmutig ihren Text vortragen. Passenderweise halten sie oft Schaumweingläser in der Hand, manchmal läuft die große Windmaschine an, um Schaumflocken durch den Raum zu blasen.

Den Höhepunkt an Action bildet endlich eine Art Bacchanal, bei dem die Schaumkanone loslegt und im hohen Bogen einen beeindruckenden weißen Schwall abfeuert. Aber so amüsant und effektvoll das anfangs wirkt – die im Prinzip geniale Bühne (Manuel La Casta) erweist sich als eher illustrative Schaumschlägerei. Kevin Barz hätte bei seiner Inszenierung von Alexander Schimmelbuschs Roman „Hochdeutschland“ mit dieser herrlichen Kulisse schon etwas mehr anfangen müssen, denn so bleibt der Schaum, ökonomisch gesprochen, totes Regie-Kapital, weil die Inszenierung kaum szenischen Mehrwert aus ihm herausholt.

Das ist schade, aber letztlich nicht gar so tragisch; denn auch die bessere szenische Lesung, die man jetzt halt erlebt, erweist sich als anregend und unterhaltsam. Nicht nur dank der sehr engagierten Schau- oder Schaumspieler, sondern auch, weil Sachiko Hara am Flügel wunderbar romantische Musik dazu macht. Was den Verdacht nährt, das Ganze sei sowieso nur ein Traum, denn Träume sind bekanntlich Schäume, und an denen herrscht hier ja kein Mangel.

Victor, der millionenschwere Held der Geschichte, ist Mitinhaber einer Frankfurter Investmentbank und ein etwas untypischer Vertreter seines Metiers: Irritiert, weil die ungleiche Verteilung des Reichtums keine revolutionäre Stimmung erzeugt, wundert er sich, dass nirgends „die Guillotine geölt“ wird. Wohin, fragt sich Victor, sind all die Hausbesetzer, Steinewerfer und „Sympathisanten“ von einst verschwunden? Wann wurden sie durch folgsame „Befehlsempfänger“ abgelöst, etwa durch die Angestellten, die für ihn schuften und deren Großraumbüro er nur „das Straflager“ nennt.

Auch die herrschende Leistungsideologie, derzufolge jeder seines Glückes Schmied ist, gilt dem Multimillionär natürlich als Humbug, denn entscheidend für den Erfolg sei in Wirklichkeit nicht, „was man kann, sondern wen die Eltern kennen“. Gerade durch ihre zuspitzende Verknappung macht die Bühnenfassung verständlich, warum Schimmelbuschs knalliger Roman beim Erscheinen 2018 oft Vergleiche mit Michel Houellebecq auslöste. Beide Autoren provozieren durch Tabubrüche: Dass Klassenunterschiede eminente Bedeutung haben, ist die „unanständige“ Wahrheit, die in „Hochdeutschland“ hinausposaunt und in einer Szene besonders anschaulich gezeigt wird. Beim Besuch eines Einkaufszentrums diagnostiziert Victor nämlich illusionslos, wie sich das tätowierte Konsum-Proletariat mit Elektro-Schnickschnack sedieren lässt und nicht einmal zu ahnen vermag, was ihm vorenthalten bleibt, weil es „auf einer völlig anderen Wahrnehmungsebene“ lebt.

Während er sich im Grandhotel mit einer Flasche Wein für 2000 Euro betrinkt, schreibt der Held also schnell ein „linkspopulisisches“ Manifest, das sein alter Spezi, der Grünen-Politiker Ali. zum Programm einer neuen Partei macht, die damit prompt an die Regierung kommt. Spätestens hier wird klar, dass die ohnehin ziemlich märchenhafte Geschichte das Produkt überschäumender Fantasie war. Begeisterter Beifall.

Weitere Aufführungen

am 27. und 29. Mai sowie am 27. und 28. Juni;

Telefon 089/ 23 39 66 00.

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