Mit ungekünstelter Ehrlichkeit

von Redaktion

Der russische Pianist Grigorij Sokolov hinterlässt sein Publikum im Münchner Herkulessaal erschöpft, aber glücklich

VON TOBIAS HELL

In einer Zeit, in der sich die PR-Maschinerie der Klassik oft kaum noch vom „Schneller, Höher, Weiter“ der Pop-Industrie unterscheidet, sind Künstler wie Grigorij Sokolov selten geworden. Ein Mann, der in der Öffentlichkeit meist schweigt und lieber das Klavier sprechen lässt.

Doch lange Erklärungen sind bei ihm sowieso nicht nötig. Und dies, obwohl manches in seinen Konzerten durchaus mit sehr individueller Färbung daherkommt. Eines jedoch vereint all seine Interpretationen: eine ungekünstelte Ehrlichkeit, der man sich schwer entziehen kann. Wohl auch deshalb haben seine meist Wochen im Voraus ausverkauften Auftritte inzwischen fast kultischen Charakter. Jetzt hat sich die treue Fangemeinde im abgedunkelten Münchner Herkulessaal versammelt, um andächtig lauschend von ihm in seine ganz eigene Welt entführt zu werden.

Kompromisslos war schon der Beginn mit Ludwig van Beethovens Sonate Nr. 3 in C-Dur. Rau und ruppig angegangen, ehe sich im filigran getupften Adagio und dem atemlosen Scherzo langsam neue Klangfarben hinzumischten, deren beeindruckende Synthese Sokolov schließlich im Finalsatz präsentierte. Zusätzlich kommentierte er diese Sonate mit den „Elf neuen Bagatellen“ des Komponisten, die das Publikum kompakt ein weiteres Wechselbad der Emotionen durchleben ließen: mal kalt leuchtend, mal intensiv glühend.

Ähnlich schwärmen lässt sich auch über Johannes Brahms’ Klavierstücke op. 118 und 119, die der Russe ohne Zwischenapplaus als großen Zyklus dachte. Eine wahre Lehrstunde an ausgefeilter Virtuosität, die oberflächlicher Selbstdarstellung in jedem Takt den Kampf ansagte.

Nach sechs klug gewählten Zugaben und knapp drei Stunden Konzert war man am Ende auch als Zuhörer erschöpft. Aber ebenso glücklich, diesen Abend miterlebt zu haben – und voller Vorfreude auf das nächste Mal.

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