Klappe zu – Madonna lebt

von Redaktion

Allen Befürchtungen zum Trotz: Das neue Album „Madame X“ zeigt, wer die Queen of Pop ist

VON JÖRG HEINRICH

Sie zu belächeln und als Künstlerin nicht mehr für voll zu nehmen – das hat Madonna ihren Kritikern zuletzt einfach gemacht. Ein angerosteter Superstar, mit sonderbar altersfremdem Sozialverhalten. Und mit 60 noch so aufgestrapst, wie es sich kaum eine 20-Jährige traut. Wie kann sie nur? Dazu der dubiose Auftritt beim ESC in Tel Aviv, mit Augenklappe und windschiefem Gesang, den sie zu allem Unglück auch noch nachträglich auf Youtube digital begradigen ließ. Spätestens da schien die Sache klar: Die Frau hat es hinter sich.

Entsprechend minimal waren die Erwartungen an ihr 14. Studioalbum „Madame X“, das heute erscheint. Doch wundersamerweise zeigt Madonna der Welt noch einmal, wer die wahre Queen (oder Queen Mum) of Pop ist. Sie überrascht mit ihrer spannendsten und hörenswertesten Platte zumindest seit „Confessions on a Dance Floor“ von 2005. Die ewige Madonna zeigt den jungen Dingern von Ariana Grande bis Taylor Swift noch einmal das kurz berockte Hinterteil und marschiert voraus in Sachen moderne und mutige Popmusik.

Noch beim ESC rätselte die halbe Welt, was die eigenartige Show mit der Augenklappe bedeuten sollte. Wer nun das dazugehörige Album hört, versteht besser, was es mit Madonnas neuer (und zugleich ältester) Identität auf sich hat. Schon mit 19 nannte ihre Tanzlehrerin, Modern-Dance-Pionierin Martha Graham, ihre Elevin „Madame X“. Denn: „Du wechselst jeden Tag Deine Identität, Du bist mir ein Rätsel.“ Und genauso mysteriös, undurchschaubar und kunterbunt fällt das neue Album aus.

Von Latin („Medellín“) bis zu Anleihen bei Tschaikowskys „Nussknacker“ in „Dark Ballet“ reicht das Spektrum – wobei Letzteres als dermaßen furioser Pop-Klassik-Mix glänzt, dass sich gar der Vergleich mit Queens „Bohemian Rhapsody“ aufdrängt. Madonna lässt einen Kinderchor gegen den Waffenwahn in den USA ansingen („God Control“), und erweist ihrer Wahlheimat Lissabon auf Portugiesisch die Ehre, unter anderem in „Faz gostoso“, einem Duett mit Brasiliens jungem Superstar Anitta. Und mit „I don’t search I find“ liefert sie die Fortsetzung ihres 1990er-Hits „Vogue“ ab – ein exzellenter Deep-House-Track, maßgeschneidert für den Disco-Sommer. Auch dieses Stück hat sie mit dem altgedienten französischen Songschreiber und Produzenten Mirwais Ahmadzaï ausgeheckt, der sich schon auf „Music“ (2000), „American Life“ (2003)“ und „Confessions on a Dance Floor“ (2005) immer neue und spannende Madonna-Musik einfallen ließ. Nun kehrt Mirwais endlich zurück und sorgt für die besten Momente auf „Madame X“.

Ein perfektes Album ist Madonna dennoch nicht gelungen. Mit ihrer Weltenretter-Hymne „Killers who are partying“ übernimmt sie sich maßlos. Ihrer Stimme mag sie selbst nicht mehr so recht trauen – die leidige Verzerrung per Autotune-Effekt ist allgegenwärtig. Und die großen Radio-Hits wie früher fehlen auch auf der neuen Platte. Und dennoch: Mindestens die Hälfte von „Madame X“ ist so hörenswert und interessant, wie man es Madonna nie mehr zugetraut hätte. Aber das verbindet die Queen of Pop mit ihrer Amtskollegin, der Queen im Buckingham Palast: Sie mögen in die Jahre gekommen sein. Aber die Damen sind zäh. Und freiwillig vom Thron zu steigen: Kommt gar nicht infrage!

Madonna:

„Madame X“ (Universal).

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