Fusion im Todestrakt

von Redaktion

Die Opernfestspiele zeigen „Requiem für einen Lebenden“

VON ANNA SCHÜRMER

Ein überdimensionierter Säugling weist dem eintretenden Publikum im Eingangsbereich der Münchner Reithalle den Weg. Das Ziel: ein Kubus aus dicker Klarsichtfolie, bemalt mit Sprüchen und Skizzen, wie man sie auf öffentlichen Toiletten finden kann – oder an den Wänden einer Todeszelle. Und genau dies soll das von drei Seiten mit Stuhlreihen umstellte Podest darstellen, auf dem ein Mann in weißer Trainingskluft liegt: Ben Daniel Jöhnk spielt einen Häftling im Todestrakt – dieses Sterben ist Thema von „Requiem für einen Lebenden“, einer furios-erschütternden Aufführung, die Komponist Felix Leuschner und Librettist Reto Finger für die die Münchner Opernfestspiele produziert haben.

Das Gerüst der assoziativen und perspektivenreichen Produktion bildet tatsächlich die lateinische Totenmesse. Vor allem das Kyrie und die abschließende Communio sind eindrückliche Sakralmusik – und dennoch mehr. Leuschner glückt eine musikalische Fusion, die U und E nicht mehr unterscheiden kann und deswegen so unmittelbar zeitgenössisch wirkt: Metal und Jazz, Texas-Country und Pop, Industrial und feinste Avantgardeklänge produziert Armando Merino mit dem Ensemble aus Flöten und Bassklarinette, Violine und Violoncello. Außerdem und für das Klangbild entscheidend Synthesizer, E-Drum Set und Live-Elektronik. Stroboskop-Licht und die teils im Chor skandierten Sprechgesänge erinnern an Ulrich Rasches formstreng-mechanistische Regiearbeiten, wie sie mit „Die Räuber“ und „Elektra“ am Residenztheater zu erleben waren.

An einem Haus wie der Bayerischen Staatsoper sticht das mit einer Oper nur noch entfernt verwandte Musiktheater mit seiner hybriden Ästhetik heraus, selbst in einer Nebenspielstätte wie der Reithalle. Allem voran deshalb, weil an keiner Stelle klassischer Gesang zu hören ist – obwohl mit Salome Kammer und Adriana Bastidas-Gamboa zwei sehr gute Sängerinnen auf der Bühne stehen. Dies aber als stimmmächtige Darstellerinnen, die in den Rollen als Schwester und Ex-Freundin das unerträgliche Warten des Todeskandidaten begleiten: „Die Ungewissheit ist der größte Teil der Strafe.“

Weitere Vorstellungen

heute sowie am 23. und 24. Juli;

Telefon 089/21 85 19 20.

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