Auch dienstags wird neuerdings wieder getalkt in der ARD, wenn auch nicht ausdrücklich politisch. Neben Klassikern aus den Dritten wie „3 nach 9“ oder der „NDR Talkshow“, die nun im Ersten laufen sollen, gibt es eine Neuentwicklung. „Hier spricht Berlin“ heißt das Format aus der Hauptstadt, das heute um 23 Uhr Premiere hat. Moderiert wird es von den (Wahl-)Berlinerinnen Eva-Maria Lemke (37, „Kontraste“) und Jessy Wellmer (39, „Sportschau“). Premierengäste sind der Moderator Günther Jauch, der Musiker Sido, die Schauspielerin Petra Schmidt-Schaller, der Opernsänger Thomas Quasthoff, die Autorin Else Buschheuer und der Tätowierer Daniel Krause. Thema ist der 30. Jahrestag des Mauerfalls.
Es gibt keine offiziellen Informationen darüber, ob in Talkshows Alkohol ausgeschenkt wird, ganz sicher aber wird heutzutage nicht mehr geraucht. Nun wollten Sie ursprünglich das Rauchen wieder zulassen. Eine Mittel neben anderen, die Gäste zum Reden zu bringen, weil sie sich wie zuhause fühlen – oder schon der erste Aufreger?
Jessy Wellmer: Ach, das Rauchen! Das lassen wir. Die Einladung zu rauchen sollte nur bedeuten, dass wir gute Gastgeber sein wollen. Wenn sich herausgestellt hätte, dass Günther Jauch nur mit Zigarre dem Stress einer Fernsehsendung gewachsen ist, hätte er sich eine anzünden dürfen. Eva-Maria Lemke: Jetzt muss er eben auf den Balkon gehen. Es gibt übrigens noch andere Sendungen, in denen geraucht werden darf. Aber die verraten wir nicht, sonst haben die gleich eine Abmahnung an der Backe.
Über die Zahl der Talks wird kontrovers diskutiert – viele finden, dass es zu viele davon gibt. Was würden Sie als Alleinstellungsmerkmal Ihrer Sendung definieren?
Lemke: Berlin ist die Stadt, in der sich alle treffen – und die meisten Musiker, Filmleute und Theatertiere leben. Hier muss man im Grunde nur einmal mit dem Schmetterlingsnetz durch einen Partyflur laufen und hat die Gästeliste voll. Wieso sollte es ausgerechnet hier keine Talkshow geben? Wellmer: Anders wird zu allererst mal sein, dass die anderen Talkshows nicht von Lemke und Wellmer moderiert werden. Aber im Ernst: Wir werden versuchen, eine Sendung zu machen, die die Zuschauer gerne sehen und über die sie sagen: Das war interessant, da habe ich gerne zugehört.
Die eher boulevardesken Talkshows im deutschen Fernsehen werden zumeist von einem Moderatoren-„Pärchen“ moderiert. Würden Sie sagen, dass ein Gespräch anders verläuft, wenn zwei Frauen fragen?
Wellmer: Das ganze Männchen-Weibchen-Ding langweilt mich ehrlich gesagt ein bisschen. Wir haben männliche und weibliche Gäste und wir werden sicher auch mal welche haben, bei denen das nicht so klar zu sagen ist. Ich glaube, wie ein Gespräch wird, entscheidet sich im Moment, in der Stimmung des Abends, und natürlich spielt eine Rolle, ob und wie sich die Gesprächspartner verstehen – aber es hängt nicht davon ab, ob das Moderatoren-„Pärchen“ als mixed team an den Start geht. Lemke: Genau! Am Ende ist eine gute Talkshow doch so, als würde man bei Freunden spätabends mit am Tisch sitzen: Wenn die Gastgeber sich nicht verstehen, wird’s ungemütlich. Und Jessy Wellmer und ich verstehen uns prächtig.
Wie „berlinerisch“ wird Ihre Sendung sein?
Lemke: „Berlinerisch sein“ wird ja meistens eher mit einem Rumpoltern gleichgesetzt, mit Motzkis, die sich durchs Leben rempeln. Das sind wir schon mal nicht… Wellmer: So issit! Dit is jetz keene Icke-Weeste-Kennwanich-Show. Jedenfalls nicht, solange wir Kurt Krömer nicht als Gast hatten. Aber die Gäste unserer ersten Sendung sind tatsächlich alle echte Berliner – sie sind hier geboren oder leben hier schon lange. Aber das ist natürlich keine Bedingung, um auf die Gästeliste zu kommen. Lemke: Was Berliner wirklich ausmacht, ist ihre Abgeklärtheit: Wir lassen uns nicht so leicht beeindrucken. Hier bekommt keiner Schnappatmung, weil er mal mit einem Filmstar in der U-Bahn sitzt. Die Grundhaltung ist: Allet schon jesehn! Und genauso wollen wir unsere Gäste nicht nur öffentlich abfeiern oder bestaunen, sondern wirklich ins Gespräch mit ihnen kommen. Wellmer: Und wir haben gehört, es gibt auch anderswo interessante Gesprächspartner. Sie müssten allerdings bereit sein, zu uns nach Charlottenburg zu kommen.
Die Geschichte der Talkshows ist lang und bunt – ich frage jetzt nicht nach Vorbildern von Dietmar Schönherr über Lea Rosh bis Alida Gundlach, sondern nach dem jeweils ganz persönlich als „Sternstunde“ oder „dramatischem Höhepunkt“ empfundenen Moment.
Wellmer: „Je später der Abend“ mit Dietmar Schönherr hab ich irgendwie verpasst. Und du, Eva? Lemke: Ich auch… Wellmer: Liegt vielleicht daran, dass wir da beide noch nicht geboren waren. (Lacht.). Aber das, was ich darüber weiß, gefällt mir. Der legendäre Auftritt von Romy Schneider zum Beispiel. Es war damals sicher leichter, Aufmerksamkeit zu erregen. Aber wenn es uns gelingen würde, so einen Moment zu schaffen, an den sich die Zuschauer noch ein bisschen länger erinnern – das wäre schon was. Lemke: Ich habe mir einen Moment auf meinen inneren Denkzettel geschrieben: Als Liv Lisa Fries aus „Babylon Berlin“ gefragt wurde, wie das denn sei, so eine Riesenrolle in einer vielbeachteten Serie zu spielen sagte sie schulterzuckend: „Wieso, wir reden hier doch auch einfach miteinander und sagen nicht ständig – geil! Wir sind hier in einer Talkshow! WAHNSINN! Wir machen’s einfach!“ Das ist die Haltung mit der ich da rangehe: Wir machen’s einfach!
Das Gespräch führte Rudolf Ogiermann.