„Das wird ein spannender Abend“

von Redaktion

INTERVIEW Sopranistin Marlis Petersen über „Die tote Stadt“ an der Bayerischen Staatsoper

Nach ihrer Salome heuer bei den Opernfestspielen stellt Marlis Petersen nun mit der Marietta aus „Die tote Stadt“ erneut eine hochkomplexe, vielschichtige Frauenfigur auf die Bühne. Erich Wolfgang Korngolds Oper hat heute Premiere im Nationaltheater; zuletzt stand das Stück 1955 auf dem Spielplan der Bayerischen Staatsoper. Jonas Kaufmann singt den Paul, die Inszenierung stammt von Simon Stone und am Pult steht Kirill Petrenko. Wir trafen Petersen vorab zum Gespräch.

Salome ist die Kindfrau, die ihre Sexualität entdeckt und darüber in Raserei verfällt. Auch Marietta wird begehrt und muss als Projektionsfläche herhalten: Wie ordnen Sie diesen Charakter ein?

Bei den Proben habe ich immer wieder an Zerbinetta denken müssen: Sie ist auch ein lebenslustiges Singer- und Tänzergirlie, das ihre eigene Truppe dabei hat. Dieses Lockere, Lustige, Leichtlebige verliert Marietta aber im Laufe des Stücks und interessiert sich immer mehr für Paul. Sie wünscht sich, glaube ich, schon, dass er nicht nur die Marie in ihr sieht, sondern sie als eigenständige Frau wahrnimmt. Und auch das eint sie mit Zerbinetta: Sie möchten beide endlich nur einen Menschen an ihrer Seite haben, eine ernsthafte Beziehung führen.

Die Doppelrolle Marietta/Marie ist darstellerisch wie technisch höchst anspruchsvoll. Wo liegen die Anforderungen?

Musikalisch ist das einfach hochkomplex, alleine schon durch die ständig sich ändernden Rhythmen. Für die Marietta wechselt sich das ganze Stück über Dramatisches mit Lyrischem ab, Höhe und Tiefe folgen nah aufeinander. Dazwischen dann diese ätherische Erscheinung der Marie, ganz im Pianissimo, wo man auch eine eigene, von der Marietta sich unterscheidbare Farbe finden muss. Im dritten Akt kommt dann die große Szene, das Schwierigste also wirklich erst zum Schluss. Auch die Regie ist nicht ohne, dass ist mal wieder höchst sportlich. (Lacht.) Aber mit Jonas macht das einen Riesenspaß. Wir sind auf einem ähnlichen Energielevel und inspirieren uns so gegenseitig.

Die Produktion hatte schon 2017 in Basel Premiere. Simon Stone ist nach wie vor sehr eingespannt durch die Arbeit an seinem Netflix-Film. Wie oft konnte er bei den Proben sein und wie war die Zusammenarbeit?

Maria Kwaschik, seine Assistentin, hat das Gros des Stücks inszeniert. Sie war unglaublich toll vorbereitet und kannte die Emotionen der jeweiligen Figuren ganz genau. Sie hat nicht einfach die Basler Inszenierung neu einstudiert, sondern hat – besonders zwischen Jonas und mir – ein neues Miteinander kreiert, sich ganz auf uns als Persönlichkeiten eingelassen. So hat sich das wunderschön gefügt aus dem, was da war in Basel, und aus dem, was wir neu machen konnten.

Korngold unterscheidet in seiner Oper viel stärker zwischen Traum und Wirklichkeit, als das die literarische Vorlage „Das tote Brügge“ macht. Dort vermischt sich beides extremer.

Paul durchläuft in dieser Inszenierung viele Räume „im Traum“, die sich dann auch bewegen, da erkennt man schon klar das Fiktive. In der Traumdeutung heißt es, dass das Haus für den eigenen inneren Raum steht. Bei uns träumt er davon, wie sich Häuser aufspalten. Ganz im Sinne Sigmund Freuds symbolisiert das sehr schön die Spaltung seines Ichs. Simon Stone sorgt also schon sehr eindrucksvoll dafür, dass das Publikum mit in Pauls Traum gucken kann.

Ist es ein heilsamer Traum? Der ihn von der Erinnerung an die Vergangenheit zurück ins Leben holt?

Absolut. Er macht ja das, was eigentlich auch in der Psychoanalyse passiert: Er geht durch seine Probleme hindurch. Er konnte sich keine Hilfe von außen holen und musste das unter großem Kampf im Albtraum machen, aber er wird dadurch geläutert. Er sagt den tollen Satz: „Ein Traum hat mir den Traum zerstört!“ Durch den Traum kann er endlich von der Vergangenheit loslassen. Nur so kann er heilen. Ein völlig unalltägliches und heutiges Opernsujet – für mich eines der tollsten.

„Die tote Stadt“ ist ein Wunschstück von Kirill Petrenko. Wie war die Probenphase mit ihm?

Er hat ja so vieles schon gemacht in der Oper, was wirklich höllenschwer ist. Aber ich hatte das Gefühl, dass dieser Korngold schon noch mal ein besonderer Brocken für ihn ist. Kirill möchte immer für alle die ideale Situation schaffen: für die Sänger, für das Orchester, für die Bühne, aber natürlich auch für den Komponisten. Und dieser Wille, allem und allen gerecht zu werden, ist, glaube ich, hier besonders knifflig in die Tat umzusetzen. Aber es ist eine richtig schwere Aufgabe für alle Beteiligten. Das wird ein verdammt spannender Abend. (Lacht.)

Das Gespräch führte Maximilian Maier.

Artikel 3 von 11